„Euer Gericht hält uns nicht auf“ – Prozesserklärung vom 25.08.2023

Nachfolgend veröffentlichen wir die Prozesserklärung, welche die Angeklagte am ersten Verhandlungstag abgegeben hat.


Heute stehe ich vor Gericht, weil mir meine Tätigkeit als Anmelderin zweier Demonstrationen vorgeworfen wird. Konkret lauten die Vorwürfe, dass ich bei der „Autonomen Antirepressionsdemo“ unter dem Motto „Eure Gewalt hält uns nicht auf“ am 31.10.2020 als Anmelderin zu keinem Zeitpunkt auf die Teilnehmer*innen eingewirkt haben soll, nachdem diese unter anderem Pyrotechnik abgebrannt haben sollen und dass ich bei der Kundgebung „Autonome Kiezdemo: Kampf den Faschist*innen in Uniform“ am 13.12.2020 nicht verhinderte, dass sich aus der Kundgebung heraus Menschen trotz Auflagen in Bewegung setzten und dabei Pyrotechnik abbrannten; außerdem, dass ich bei dieser Gelegenheit im weiteren Verlauf des Abends eine Bierflasche in der Hand gehabt haben soll.
Hierzu muss wohl noch etwas gesagt werden, bevor es in die juristische Auseinandersetzung geht. Dabei geht es nicht darum, das Gericht dabei von Schuld oder Unschuld zu überzeugen, noch geht es darum, die Vorwürfe zu bekräftigen oder zu entkräften, oder um eine andere Darstellung der vorgeworfenen Sachverhalte.
Es geht darum, klarzustellen, worum es hier eigentlich geht: Um einen Angriff auf die Versammlungsfreiheit, und um es einmal ganz explizit zu machen: Es geht um einen Angriff auf die Versammlungsfreiheit von linken und linksradikalen Menschen. Also um einen Angriff auf jene, die sich mit dieser Gesellschaft, so wie sie ist, nicht zufrieden geben wollen und können und die sagen, dass es besser geht, dass es eine Gesellschaft geben kann, in der die Menschen frei und in Solidarität und Freundschaft miteinander leben können, eine Gesellschaft also, in der das, was diese Gesellschaft verspricht, nicht nur ein Versprechen, sondern Wirklichkeit ist. Es ist festzustellen, dass die gegenwärtige Gesellschaft sich leider dahin entwickelt hat, dass explizit diese Menschen sich nicht mehr versammeln sollen und das nach allen Mitteln gegriffen wird, solche Versammlungen unmöglich zu machen und diejenigen, die solche Versammlungen durchführen wollen, durch Kriminalisierung einzuschüchtern und davon abzuhalten.

Dass es dabei explizit um die Einschränkung der Versammlungsfreiheit von Linken geht, zeigt die kontrastreiche Gegenüberstellung von zwei Demonstrationsereignissen, die hier beispielhaft herausgegriffen werden. Es gäbe genug, um eine lange Liste zu füllen.
Am 07.11.2020 kam es in Leipzig zu einer rechtsextremen Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. 20.000 Menschen versammelten sich auf dem Augustusplatz, um auch nach der Auflösung der Versammlung dennoch über den Innenstadtring zu laufen. Die Polizei ließ den Aufzug zu, weil es laut dem Polizeisprecher Olaf Hoppe ansonsten zum Einsatz von massiver Gewalt gegen die Demonstrierenden hätte kommen müssen. Dies habe man vermeiden wollen. Verhindert werden konnten durch die Polizei nicht die über 30 Angriffe auf Journalist*innen, verhindert werden konnten nicht die zum Teil bewaffneten Angriffe auf Gegendemonstrant*innen, verhindert werden konnten nicht die zahlreichen Sachbeschädigungen. Die Polizei hatte in Anbetracht all dessen eben einen „massiven Einsatz von Gewalt“ vermeiden wollen. Obwohl die Absicht über den Ring zu laufen bekannt gewesen war, obwohl die Planungen von einschlägigen Neonazis, sich an der Demonstration zu beteiligen, bekannt gewesen war, obwohl die Informationen, was wann wo passierte am Tag selbst durch alle möglichen öffentlichen Kanäle liefen, unterband man nichts und man scheute sich auch nicht, ehrlich zu sein: man hatte einfach nicht gewollt.

Dass es anders laufen kann, wenn eine Versammlung eben nicht gewollt ist, das zeigte sich dann zuletzt am 03.06. diesen Jahres, anlässlich der sogenannten „Tag X“-Demonstration, welche sich gegen das zuvor gesprochene Urteil am OLG Dresden gegen vier angeklagte Antifaschist*innen richtete. Hier wurde schon weit im Vorfeld klar gemacht, dass diese Demonstration nicht gewollt ist. Auch die Demonstration am Tag der Urteilsverkündung selbst wurde durch die Ordnungsbehörden verunmöglicht. Am darauf folgenden Wochenende wurde ein Kontrollbereich eingerichtet, die Demonstration wurde verboten, ebenso alle im Ansatz an das Thema anknüpfenden Demonstrationen auch noch am folgenden Tag. An den Autobahnen und am Bahnhof wurde eine mögliche Anreise zur verbotenen Demonstration kontrolliert, es wurden mehr als 1000 Polizist*innen und über 10 Wasserwerfer in die Stadt geholt und den ganzen Tag Menschen in der Stadt nahezu willkürlich kontrolliert. Eine Demonstration für Versammlungsfreiheit, die zuerst noch hätte laufen dürfen, wurde auf dem Alexis-Schumann-Platz festgehalten, nachdem es hier zu einer, wenn auch heftigen, aber sehr kurzen Auseinandersetzung am Rand der Versammlung kam, wurden über 1000 Menschen eingekesselt und zum Teil bis zum nächsten Morgen festgehalten. Eltern wurde der Kontakt zu ihren minderjährigen Kindern verwehrt, Rechtsanwält*innen wurden nicht zu ihren Mandant*innen im Kessel gelassen. Die Eingekesselten wurden trotz Hitze nicht mit Wasser versorgt und bekamen keine Möglichkeit, die Toilette aufzusuchen, Sanitäter*innen wurden nicht durchgelassen und an ihrer Arbeit gehindert. Umstehende, die die Eingekesselten mit Zurufen wie etwa „ihr seid nicht allein“ unterstützen wollten, bekamen von der Polizei das Äußern von politischen Meinungen untersagt, dies sei ihnen per Verfügung verboten. Der Sächsische Innenminister Armin Schuster wurde mit der Aussage zitiert – trotz der dokumentierten und bereits selbst durch die Polizeiführung eingeräumten „Fehler“ – der Einsatz sei ein „Heimspiel“ der Polizei gewesen, zukünftig wolle er noch gezielter gegen Linksextremismus vorgehen. Wir sehen hieran, was geht, wenn es gewollt wird, aber nur, wenn eben wirklich der Wille da ist. An der Aussage von Armin Schuster sehen wir: Er besteht der Wille gegen Linke vorzugehen, und wenn der Wille da ist, dann folgen dem entsprechend auch die Taten.

Dabei ging der Anspruch der bürgerlichen Gesellschaft einmal weiter und er wird auch noch so vor sich her getragen, wie etwa auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung. Dort heißt es zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit: „Sie und die anderen Kommunikationsfreiheiten sind „unbequeme“ Grundrechte, die gerade auch dem Schutz andersdenkender Minderheiten dienen. Ihnen ein „Protestventil“ zu geben, kann gerade in einer vorwiegend repräsentativ strukturierten Demokratie auch eine wesentliche „stabilisierende Funktion“ haben“, wobei hier wesentlich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgericht zitiert wird, welches als „Brokdorf“-Urteil bekannt geworden ist, nach welchem die Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit geschützt werden müssen, selbst wenn es dabei zu Auseinandersetzungen kommt.

Von diesem Standpunkt wird in letzter Zeit zunehmend abgerückt. Innerhalb der Gesellschaft setzt sich ein Standpunkt durch, nach welchem in Anbetracht der Zunahme von rechten oder rechtsextremen „Protesten“ und von der zunehmenden Bedeutung rechtsextremer Positionen in der Politik, wie zuletzt sichtbar in den Wahlerfolgen der AFD in Thüringen und in Sachsen-Anhalt, immer wieder davon gesprochen wird, dass nun ein verteufeln ganz fehl am Platze ist, während demgegenüber bezüglich linker Positionen immer wieder von Härte und der Notwendigkeit der Eindämmung gesprochen wird. Während bei der Zahl aufgeflogener rechter Chats, rechter Gruppen die einen Umsturz planen (!) und realer Wahlerfolge selbst rechtsextremer Parteien immer wieder von Einzelfällen gesprochen wird, wird angesichts von organisiertem Antifaschismus genauso wie bezüglich etwa des Protests der letzten Generation von dem Aufkommen einer neuen RAF fabuliert. Dabei kommen gewalttätige Auseinandersetzungen auf Demonstrationen und anderen Versammlungen nicht selten erst dadurch zustande, dass mit besonderer Härte gegen diese vorgegangen wird, um von vornherein die Gewalt einzudämmen – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wie sich so etwas entwickeln kann, war zuletzt zu sehen in Hinblick auf einen Staatsanwalt, der es für nötig befand, bei seinem Auftritt am Kessel zum Tag X vermummt aufzulaufen. In der Folge wurde er, der zuvor ganz unbekannt gewesen war, im Internet bloßgestellt, was nun als Beleg dafür dient, dass er sich tatsächlich schon die ganze Zeit in Gefahr der Enttarnung befand. Dass ein Staatsanwalt aber ohnehin seine Identität nicht verschleiern kann, weil er als Organ der Rechtspflege öffentlich auftritt, ist dabei nur ein Teil dieses lächerlichen Schauspiels.

Entgegen dem Brokdorf-Urteil nimmt aktuell insbesondere in Leipzig das Interesse ab, Linken so etwas wie ein Protestventil zu lassen. Vielmehr sollen Linke alles so hinnehmen, wie es kommt, und zwar ungeachtet dessen, um welches Thema es geht. Mit der Behauptung, es würde zu schwerwiegenden Gewalttaten kommen, wird versucht, die freie Meinungsäußerung einzudämmen. Insbesondere bei Kritik an Polizei und Justiz wird dabei Anstoß genommen. In Leipzig kommt es seit Jahren regelmäßig zu Hausdurchsuchungen; eine Maßnahme, die eigentlich schweren Delikten vorbehalten sein soll – in Leipzig reichen dafür schon ein Twitter-Post oder das Werfen einer Wasserbombe. Demonstrationen, die sich gegen diese Hausdurchsuchungen richten, führen selbst wiederum zu Repression. Dass das Verhältnis zwischen Linken und der Polizei in Leipzig schlecht ist, ist bekannt; Demonstrationen, die sich etwa gegen Polizeigewalt richten, wird mit Gewalt begegnet. In diesem Kontext stehen auch die heute verhandelten Verfahren.

Dass sich die gesellschaftlichen Probleme aktuell in vielen Bereichen zuspitzen, ist selbst für den Mainstream keine Neuigkeit mehr. Dass es angesichts zunehmender gesellschaftlicher Probleme zu mehr Protest kommt, ist dementsprechend wenig überraschend. Der Staat reagiert darauf mit Repression und bezüglich des Versammlungsgeschehens mit Verschärfungen und restriktiven Auslegungen des Versammlungsrechts und Einschüchterungen gegenüber denen, die das Demonstrationsrecht auch in Anbetracht zunehmender Spannungen selbstbewusst ausleben wollen. Die Verfolgung von Anmelder*innen von umstrittenen und kämpferische Demonstrationen zu belangen, ist hiervon nur ein Teil. Dass es sich bei dem Verfahren gegen mich nicht um einen Einzelfall handelt, zeigt sich unter anderem auch an dem Verfahren gegen den Anmelder der „Polizeigesetz stoppen“-Demonstration im November 2017 in Dresden, die sich gegen die Verschärfung des Sächsischen Polizeigesetzes richtete. Die Polizisten, die im Verfahren gegen den Anmelder aussagten, beklagten dabei, dass der Angeklagte nach ihrer Meinung nicht sonderlich freundlich und kooperativ auf sie reagiert habe. Auch hier dürfte es eher das Thema gewesen sein, was dann dazu führte, dass die Polizei ein Verfahren einleitete, um jemanden zu bestrafen, der in ihre Augen „gegen die Polizei“ agitierte. Der Angeklagte wurde in der Berufungsinstanz freigesprochen.

Da sich dieses Strafverfahren aber nun einmal ganz konkret gegen mich als Person richtet, hier nun auch noch einige Punkte, die ganz konkret mich als Person betreffen sollen.
Im Bescheid vom 23.10.2021 der Versammlungsbehörde Leipzig wurde mir u.a. folgende Einschätzung der Sicherheitsbehörden über mich mitgeteilt:
„Eine der Versammlungsleiterinnen für den 23. Oktober 2021 [gemeint bin ich] hat bereits mehrere Versammlungen im Stadtgebiet Leipzig durchgeführt. Am 25. Januar 2020 leitete sie einen Aufzug in Leipzig mit ca. 1 600 Teilnehmenden (zuvor nur 500 angezeigt). Am 5. September 2020 zeigte sie eine Versammlung mit 100 Teilnehmern an, bei der stattdessen 500 Personen an der Versammlung teilnahmen. Am 31. Oktober 2020 wiederum führte sie einen Aufzug mit 350 Personen (vorher angezeigt 300) durch. Offensichtlich überschritten bei allen benannten Versammlungen die tatsächlichen Teilnehmerzahlen deutlich das angezeigte Maß. Zusätzlich kam es bei den aufgezählten Versammlungen zu Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Form von Körperverletzungsdelikten, Sachbeschädigungen und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. […]
Wenn Sie im Kooperationsgespräch ausgeführt haben, die Versammlungen hätten aufgelöst werden
können, so ist festzustellen, dass Sie Ihre Versammlung am 25.01.2020 vor einer möglichen Auflösung selbst beendet haben. Ihre Versammlung am 05.09.2020 wurde aufgelöst. Bei der Versammlung am 31.10.2020 wurde Ihnen die Auflösung angedroht. Auch am 13.12.2020 wurde ein polizeiliches Einschreiten aufgrund der Unfriedlichkeit notwendig.“

Man fragt sich, was hier – und zwar ab Januar 2020 – so alles an mir und meinem Verhalten problematisiert werden soll. Dass ich es mir überhaupt herausnehme, immer wieder linke Versammlungen anzumelden? Dass zu den von mir angemeldeten Versammlungen mehr Personen kamen, als zuvor geplant? Dass wahlweise ich eine Versammlung beendet habe oder aber die Polizei mir zuvor kam? Dass es auf manchen Versammlungen zu Körperverletzungsdelikten, Sachbeschädigungen oder Verstößen gegen das Versammlungsgesetz kam?

Was sind die Bedingungen, die sich die Polizei hier hinsichtlich von Versammlungen wünscht? Aus meiner Sicht sind es folgende:

• Anmeldung und Durchführung von Versammlungen erfolgt nur durch staatlich zertifizierte Personen.

• Streng limitierte Personenanzahl bei Versammlungen – idealerweise unter vorheriger Einsendung der vollständigen Personalien aller potenzieller Teilnehmer*innen, um vorab eine Sicherheitsüberprüfung hinsichtlich aller beteiligter Personen durchführen zu können.

• Vorab durchgeführte Ganzkörperkontrolle hinsichtlich der Überprüfung der mitgeführten Gegenstände aller Versammlungsteilnehmer*innen – zur Entlastung der Polizei gerne auch mit Unterstützung der anmeldenden Person und Ordner*innen.

• Vorab-Übersendung sämtlicher geplanter Redebeiträge und Kundgabemittel mit dem Ziel einer Sichtung.

• Garantenpflicht der anmeldenden Person und ggf. sämtlicher Ordner*innen, um etwaigen Strafbarkeitslücken vorzubeugen.

• Idealerweise sind ortsfeste Versammlungen – wohl dann am besten gleich in geschlossenen Räumen – vorzuziehen.

• Und zuletzt – wie sich mit der heutigen Gerichtsverhandlungen nochmal deutlich zeigt – soll ich keine Versammlungen mehr anmelden.

Und wenn man es mir schon nicht verbieten kann, so soll ich dafür doch wenigstens eine Vorstrafe erhalten und mehrere tausend Euro zahlen. sodass die Polizei ihrem Traum von der autoritär durchstrukturierten Versammlung doch noch ein bisschen näher kommen kann.

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