Prozessbericht 23.11.23: 1. Termin Berufungsverhandlung Luwi71-Besetzung im August-September 2020

Bei dem Prozess am Landgericht Leipzig handelt es sich um die Berufungsverhandlung des Verfahrens gegen zwei Angeklagte, denen im Zusammenhang mit der Besetzung der Ludwigstraße 71 (Luwi71) im September 2020 Hausfriedensbruch vorgeworfen wird.

Den Hintergrund und Ablauf der ersten Verhandlung könnt ihr hier nachlesen:

https://leipzigbesetzen.noblogs.org/post/2022/11/17/prozessbericht-vom-08-11-2022/

https://leipzigbesetzen.noblogs.org/post/2022/12/06/prozessbericht-zum-zweiten-prozesstag-am-21-11-22/

 

Der Prozess begann gegen 10 Uhr am Landgericht Leipzig. Es waren etwa 14 solidarische Zuschauer:innen da um den Prozess kritisch zu begleiten und die Angeklagten zu unterstützen. Anfangs war auch ein Journalist der BILD-Zeitung anwesend, der gegen 10:45 Uhr den Saal verließ.

 

Einer der Angeklagten war nicht anwesend und ließ sich durch seinen Verteidiger vertreten.

Zu Beginn wurde ein Überblick über den bisherigen Prozess gegeben. Die Richterin verlas das vorige Urteil am Amtsgericht vom 21.11.22. Darin wurden beide Angeklagten des Hausfriedensbruch schuldig erklärt, und zu jeweils 30 Tagesätzen á 14€ verurteilt. In der Folge wurde von der Verteidigung Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Zunächst äußerte sich die Verteidigung zu den Zielen der Berufung.

Es sei zu zeigen, dass es – entgegen der bisherigen Annahmen – vor der Besetzung Ende August 2020 keine Verriegelung der Türen gegeben hat. Denn wie sich aus Zeitungsartikeln nachvollziehen lässt, muss das Haus schon am 1.5.2020 zugänglich gemacht worden sein. Es wurden Transpis am Haus angebracht, welche dort bis September 2020 hingen. Der entsprechende Zeitungsartikel wird in die Beweisführung mit eingebracht.

Der Eigentümer des Hauses – Herr Heng – hatte sich daher nicht besonders bemüht den Zugang zu seinem Haus zu verhindern oder sich dafür interessiert ob es offen oder genutzt war. Im ersten Prozess hatte sich bereits gezeigt, dass Heng nicht wusste wie das Haus vor September 2020 aussah und ob die Tür verschlossen war. Für die Angeklagten kann daher nicht erkennbar gewesen sein, ob der Zugang oder die Nutzung des Hauses unerwünscht war.

Das Ziel der Berufung ist daher nicht, zu zeigen, dass die Angeklagten nicht im Haus gewesen seien (dazu äußern sie sich nach wie vor nicht) sondern, dass der Hausfriedensbruch nicht rechtskräftig begründet werden kann.

Als nächstes verlas die Angeklagte eine politische Prozesserklärung.

In dieser betonte sie, dass zur Zeit der Besetzung in der öffentlichen Meinung deutlich die Position vertreten wurde, dass gegen Gentrifizierung gekämpft werden muss. Durch die Besetzung wurde für das Thema mehr Öffentlichkeit geschaffen. Das eigentliche Verbrechen besteht in grundlosem Leerstand bei gleichzeitiger Wohnungsnot. Sie wies darauf hin, dass der Eigentümer Heng sich nicht für das Haus interessiert hatte. Auch heute ist keine Nutzung des Hauses durch Heng in Aussicht. Sie zitierte das Nutzungskonzept der Besetzendengruppe von damals, in dem viele sinnvolle, praktische Vorschläge und Utopien für partizipative, selbstverwaltete Nutzung steckten.

Für die Erklärung gab es tosenden Beifall durch die Besucher:innen.

Die komplette Prozesserklärung kann hier nachgelesen werden.

Die Richterin ging auf die Erklärung ein, in dem sie die zu klärende juristische Frage in diesem Prozess zusammenfasste: Es sei zu klären, ob gegen den Willen von Eigentümer Heng das Haus betreten wurde und ob der Wille des Eigentümers, dieses nicht zu betreten, erkennbar gewesen sei. Sie wies auch darauf hin, dass die Erklärung für das Strafmaß berücksichtigt wird.

Danach wurde mit der Beweisaufnahme begonnen – es wurden einige Fotos mit einem Beamer im Saal begutachtet. Bei den Fotos handelte es sich um Luftaufnahmen vom Dach des Hauses und der Straße, auf denen Personen in blauen Maleranzügen mit Clownsperücken zu sehen sind, frontalen Aufnahmen des Hauses auf denen Fenster, Transpis und die Eingangstür zu sehen sind, außerdem Fotos eines Handys, der beiden Angeklagten (ED-Maßnahme), entwickelte Fotos einer Einwegkamera der Innenräume und Personen im Haus. Des weiteren Fotos der Cops nach der Räumung vom Inneren des Hauses auf denen verschiedene Gegenstände, handschriftliche Notizzettel an einer Wand, Schuhabdrücke und ein Einkaufswagen mit Luftschlangen, in dem sich Flaschen befinden und ein Schild mit der Aufschrift „Polizei“ zu sehen sind.

Abschließend wurde noch der Artikel zum 1. Mai 2020 der LVZ abschnittsweise von der Richterin verlesen und das Foto im Artikel gezeigt. In dem Artikel wird berichtet, dass am 1.5.2020 eine Scheinbesetzung der Luwi71 stattgefunden habe. Auf den Fotos sind vier Transpis an der Luwi71 zu sehen. Die Verteidigung wies darauf hin, dass es die gleichen Transpis sind, die auch später bei der Besetzung zu sehen sind – drei von vier hingen noch an der gleichen Stelle. Zum Vergleich wurde ein Foto von der Hausfassade während der Besetzung gezeigt, wodurch dies bestätigt wurde. Es schien als habe es seit dem 1. Mai 2020 keine Veränderung am Haus gegeben, was verdeutlicht, dass sich der Eigentümer nicht besonders für sein Haus interessiert hat.

 

Dann begann die Zeug:innenvernehmung. Die erste Zeugin ist eine ehemalige Anwohnerin, die in der Ludwigstraße 67 gewohnt hat. Diese hat nach über drei Jahren wenig Erinnerung und sagte in dieser Befragung nichts anderes als sie bereits in der ersten Verhandlung ausgesagt hatte.

Sie hatte nie Renovierungen am Haus wahrgenommen, keine Handwerker:innen gesehen und wusste auch nicht, was mit dem Haus passieren sollte. An Transpis die vor der Besetzung an Häusern in der Straße hingen erinnerte sie sich grob, wusste aber nicht mehr an welchem Haus diese waren. Sie erinnerte sich außerdem noch an das von den Besetzer:innen an die Nachbarschaft kommunizierte Ziel, ein politisches Statement gegen Gentrifizierung, Immobilienspekulation und Leerstand setzen zu wollen.

Nach der Befragung folgte eine fünf-minütige Pause. In dieser wurde bekannt, dass seit etwa 11:00 Uhr mehrere vermummte LKA-Beamt:innen in ziviler Kleidung im Gang vor dem Saal zusammen mit dem BILD-Journalist warteten. Die Angeklagte und einige andere Besucher:innen verließen den Saal nicht. Die Besucher:innen die den Raum verließen wurden vom Bild-Journalisten penetrant abfotografiert. Die Szene war einigermaßen ungewöhnlich für eine solche Gerichtsverhandlung.

Nach der Pause wurde der Zeuge Adrian Bäßler (Polizeibeamter) vernommen.

Er war am Tag der Räumung zur Absicherung eingesetzt, war nur kurz im Erdgeschoss des Hauses, dann nur noch vor dem Haus und hat auch die Identitätsfeststellung der beiden Angeklagten durchgeführt. Er war ebenfalls am Aufbrechen der Haustür mit schwerem Gerät beteiligt, erinnerte sich aber nicht mehr an die Beschaffenheit der Tür oder ob diese verbarrikadiert war. Ihm wurde von seinen Kolleg:innen mitgeteilt, das zwei Personen beobachtet wurden, wie sie über den Hinterhof flüchteten und dass diese dann aus dem Haus Nr. 65 auf die Straße kamen. Er hat diese dann kurz befragt und über den Vorwurf belehrt und die Ausweise kontrolliert. Sonst konnte er sich kaum erinnern.

Auf die Frage der Verteidigung ob er am 1. Mai 2020 in Leipzig im Einsatz war und ob er schon mal mit dem Haus der Ludwigstraße 71 zu tun hatte, gibt er an, sich nicht zu erinnern.

 

Der nächste Zeuge ist Polizeibeamter Martin Schulz. Er gibt an, sich an kaum etwas zu erinnern und beruft sich auf den von ihm wenige Tage nach der Räumung verfassten Sachstandsbericht. Aus diesem wird ihm hauptsächlich das folgende vorgehalten.

Er sei daran beteiligt gewesen die Haustür mit schwerem Gerät zu öffnen, mit einer Ramme sei es nicht gegangen, da sie unter anderem mit einem großen Bauträger von innen verbarrikadiert gewesen wäre. Sie musste aufgeflext werden. Er war dann im Haus um die Durchsuchung und Räumung durchzuführen, er hat im 3. OG Matratzen und Kleidung, jedoch keine Personen gefunden. Dann hätten er und sein Kollege Wittek Geräusche gehört und in den Hof geschaut, wo sie zwei Personen gesehen hätten. Er erinnert sich nicht mehr wie die Personen aussahen oder in Richtung welcher Hausnummer sie sich bewegt haben. Er selbst sei nicht im Hof gewesen. Die Personen seien dann vor der Nr. 65 aufgegriffen worden, damit hatte er aber nichts zu tun.

Auf Nachfragen des Staatsanwalts gibt er an, sich nicht an die Fenster des Hauses zu erinnern und dass es ca. 20 Minuten gedauert hätte die Tür auf zu bekommen. Er glaubt, dass theoretisch auch die Fenster zum einstieg genutzt worden wären, wenn diese nur verglast wären, aber er erinnert sich nicht und war bei der Planung nicht dabei.

 

Der nächste Zeuge war Toni Stoll der Teil der Beweis- und Festnahmeeinheit war. Er war bei der Räumung zur Sicherung des Außenbereichs eingesetzt. Er war nur kurz im Haus und sonst draußen. Er gab an, dass sein Kollege Schulz im Haus war und über Funk mitteilte, dass zwei Personen über einen Zaun im Hinterhof in ein anderes Haus gingen. Er hätte dann bei der männlichen Person, die aus dem Haus Nr. 65, kam die Identitätsfeststellung durchgeführt. Sein Kollege Schulz hätte dann bestätigt dass es sich um die gleiche Person handle die er im Hinterhof gesehen hätte. Die Person wurde durch andere Kollegen durchsucht und dabei sei eine Kamera gefunden worden.

Er erinnert sich nur wage, dass die Haustür mit technischen Geräten geöffnet werden musste, aber keine weiteren Details, auch nicht an die Fenster.

Im Keller des Hauses hätte es wohl einen Durchgang zum nächsten Haus gegeben, welcher geöffnet worden war.

Auf Nachfragen der Verteidigung gab er an, dass er nichts von einer Besetzung des Hauses am 1. Mai 2020 wisse und dies sein erster Einsatz dort war. Er wisse nicht mehr ob er während der Besetzung schon mal dort war und ob die Straße bestreift wurde, ging aber davon aus. Die Verteidigung versuchte dann heraus zu finden wer für den Einsatz zuständig gewesen ist. Auch Stoll glaubte, dass, wenn möglich, seine Kollegen auch durchs Fenster den Einstieg probiert hätten, um größere Schäden und Aufwand zu vermeiden.

 

Der letzte Zeuge war der Polizeibeamte Lucien Wittek, der zusammen mit seinem Kollege Martin Schulz im 3. OG des Hauses war. Auch er erzählte, Geräusche gehört und dann zwei Personen im Hof gesehen zu haben. Er wisse aber nicht wie die Personen dorthin kamen. Außerdem habe er unter anderem farbige Perücken und einen Einkaufswagen mit Steinen im Haus gefunden. Der Einkaufswagen hätte ihm ein mulmiges Gefühl verschafft, da er sich an Szenen an Silvester eines vergangenen Jahres erinnert fühlte, bei denen seine Kolleg:innen viel Gewalt erfahren hätten. Er erinnerte sich noch, dass die Haustür schwer zu öffnen war, dass sie verbarrikadiert war. Auch nach vorhalten eines Fotos des Hauses nach der Räumung durch die Verteidigung, konnte er sich nicht an die Fenster erinnern. Auch er kann die Nachfrage der Verteidigung, wer an dem Tag die Einsatzleitung hatte nicht beantworten.

Am Ende wurde eine Folgetermin für den 30.11.23 um 10 Uhr festgelegt, da mindestens noch der Eigentümer Heng vernommen werden sollte, der an diesem Tag nicht erscheinen konnte.

Zuletzt beantragte die Verteidigung noch, dass die Richterin überprüfen soll, warum vermummte Cops in Zivil vor dem Saal waren und teilweise die Öffentlichkeit eingeschränkt war, da diese wenigstens einer Person für mindestens zehn Minuten den Zugang zum Saal versperrt hatten. Von der Person im Publikum hieß es, die LKA-Beamt:innen hätten gesagt, sie würden eine polizeiliche Maßnahme gegen die Angeklagte durchführen wollen. Zu der Zeit waren ca. zehn vermummte Cops und ein Pressevertreter, der Fotos gemacht hat im Gang vor dem Saal. Daraufhin schaute der Protokollant nach und gab bekannt, dass sich dort noch vier Cops und zwei Justizbeamte befänden. Der Staatsanwalt behauptete nichts darüber zu wissen. Es blieb zunächst unklar um was für eine Maßnahme es sich handelte. Auch die Richterin schien überrascht und wollte dem nach gehen. Es sei zu ermitteln inwieweit die Öffentlichkeit eingeschränkt wurde, ob Personen also den Saal betreten und verlassen konnten.

Für den nächsten Prozesstermin lässt die Angeklagte sich durch ihre Verteidigerin vertreten, da sie nicht kommen kann.

Damit war die Verhandlung beendet und alle verließen den Saal. Dabei wurden wieder Fotos durch den Pressevertreter gemacht. Die Cops forderten die Angeklagte dann auf mit ihnen zu kommen und sie gingen mit ihrer Verteidigerin in einen Raum. Die solidarischen Zuschauer:innen warteten im Gang. Als die Angeklagte, die Verteidigerin und die Cops den Raum verließen stellte sich heraus, dass die Cops ihr aufgrund eines neuen Vorwurfs und erneuten Ermittlungen gegen die Angeklagte, einen Durchsuchungsbeschluss und Beschluss zur DNA-Entnahme vorgelegt hatten. Die Angeklagte wurde von den Cops nach Hause gefahren, wo anschließend eine Durchsuchung ihrer Wohnung stattfand. Die Durchsuchung wurde von zwei vermummten Staatsanwälten geleitet.

Dabei waren viele (knapp 100) solidarische Menschen auf der Straße und haben den Bewohner:innen Mut gemacht und ihre Wut auf die Cops ausgedrückt.

Gleichzeitig fanden in zwei weitere Wohnungen in Leipzig aufgrund gänzlich anderer Vorwürfe (im Zusammenhang mit Tag-X) Hausdurchsuchungen statt. Auch diese wurden von solidarischen Menschen begleitet.

Danke an dieser Stelle an die vielen Menschen und eure Solidarität!

Die Inszenierung der LKA-Cops mit Sturmhauben am Gericht und das überraschende Abführen von dort mit anschließender Hausdurchsuchung, sowie der Fakt, dass offensichtlich die Bild-Zeitung vorher informiert wurde, stellen einen weiteren Meilenstein der Schikane gegen die Gefährtin dar und zeigen deutlich das erneute Interesse, die Verfolgung unserer Gefährt:innen medial auszuschlachten.

Die Repression geht also für die Gefährtin in eine weitere Runde. Wir wünschen ihr und allen anderen viel Kraft!

Vermeidet Spekulationen und seid solidarisch mit den Betroffenen!

Gemeinsam gegen ihre Repression!

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