Prozessbericht Tag 5: Laufduell mit Bein stellen

Bericht vom 5. Verhandlungstag des Berufungsverfahrens zum bisher einzigen Prozess im Zusammenhang mit der Johannapark-Sponti 2015 vor dem Landgericht Leipzig.

Im Kontext des G7-Gipfels im bayrischen Elmau fand am 5. Juni 2015 eine Spontandemonstration in Leipzig statt. Bei dieser Sponti im Umfeld des Johannaparks gab es Auseinandersetzungen mit herbeigerufenen Cops, das nahegelegene Bundesverwaltungsgericht wurde mit Steinen und Farbe beworfen, und es wurden Barrikaden errichtet.

Es gelang in dieser Nacht den Cops nur eine Person festzunehmen und mit dieser Aktion in Verbindung zu setzen: was für den Gefährten eine von den Bullen gebrochene Nase, eine Hausdurchsuchung, sowie die Erpressung von DNA-Proben unter dem Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs und der Körperverletzung zur Folge hatte.

Das erstinstanzliche Verfahren vor dem Amtsgericht Leipzig im August/September 2016 endete, trotz schwacher Beweislage der Staatsanwaltschaft, mit einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten sowie 100 Sozialstunden. Der Richter ließ es sich damals nicht nehmen, noch auf die Milde des Urteils hinzuweisen: ohne den Nasenbeinbruch durch die Cops hätte es wohl eine noch härtere Strafe gegeben.

Der Staatsanwaltschaft war die verhängte Strafe nicht genug, weshalb sie Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichtes einlegte.

Derzeit läuft vor dem Landgericht Leipzig das Berufungsverfahren.
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Es folgt ein Bericht über den 5. Prozesstag am 29.08.2017 .

Keine Akteneinsicht für die Verteidigung

Zu Beginn lehnt das Gericht den Antrag der Verteidigung auf Einsicht in die Personalakte sowie in die Disziplinarakte des POM Albrecht ab, da sie ihn, wie so häufig, für unbegründet hält.

Die Verteidigung hatte den Antrag hier gestellt, da sie die zurückliegenden Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt gegen dem POM Albrecht hier relevant findet, für die Glaubwürdigkeit seiner Zeugenaussage, aber auch aus dem Interesse des Angeklagten, der eben bei der Festnahme verletzt wurde.

Die Staatsanwaltschaft kann der Auffassung der Verteidigung mal wieder nicht folgen und hält die zurückliegenden Ermittlungen gegen den POM Albrecht sowieso gar nicht für aussagekräftig, da sie ja schließlich eingestellt wurden und außerdem seien sie sowieso nur Gegenanzeigen im Zusammenhang mit Vorwürfen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Auch für den durch die Verteidigung geforderten Registerauszug vom Bundesministerium der Justiz sind dem Gericht hier die Hände gebunden, denn es hat ja nicht einmal das Aktenzeichen zur Hand und deshalb schon gar keinen Zugriff.

Auch der Hinweis der Verteidigung, dass sich ein solches Aktenzeichen doch recht einfach ermitteln ließe, hilft hier nicht weiter. Außerdem deckt sie noch auf, dass die Staatsanwaltschaft hier Ursache und Wirkung verkannt hat: Hingegen ist es doch vielmehr so, dass es tatsächlich nur sehr wenige Verfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen Polizeibeamte gibt, da daraufhin ja regelmäßig eine Gegenanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erstattet wird.

„Das letzte Glied in der Befehlskette“

POM Marcus Fiedler, 39 Jahre alt, wird nun im Rahmen seiner Zeugenvernehmung belehrt, auch wegen der im Raum stehenden Körperverletzung im Amt.

Er war an dem Abend auf Streife unterwegs, als er zu dem Einsatz gefunkt wurde. Auch er erzählte von einem „schwarzen Mob“ und „Bewurf“ wie Steine, Pyrotechnik, Molotow-Cocktails. Es waren viele Eindrücke auf einmal und ist auch schon lang her, da lassen sich die Einzelheiten nun nicht mehr so ganz präzise beschreiben. Ein Stein hat er am Knie abbekommen, nur eine leichte Schürfwunde, keine große Verletzung, nichts für ärztliche Behandlung. Er wisse auch nichts von verletzten Kollegen.

Von der Festnahme hat er nichts mitbekommen an dem Abend, nur im Nachhinein über Hörensagen. Wer die durchgeführt hat, weiß er auch nicht mehr. Albrecht und Graf sind seine Kollegen, keine Kumpels. Er hat gehört, dass die den Festgenommenen abtransportiert haben.

Die Festnahme war aber gar kein Gesprächsthema, der Einsatz hingegen schon, das war ja keine alltägliche Situation für einen Bullen in einer geschlossenen Einheit. Aber es gab keinerlei Nachbesprechung. Auch wurde das Video nicht gezeigt, aber er wisse schon, dass es das gäbe, weil es gibt ja nach jedem Einsatz, bei der ein BeDo-Trupp (Beweis- und Dokumentations-Trupp) anwesend ist, eines.

Eine Demo war das ganze Geschehen nicht für ihn, denn es war nicht friedlich, und eine Versammlung ist schließlich friedlich.

Auch der Polizeipräsident war nach den Auseinandersetzungen anwesend, das ist so üblich bei großen Ereignissen. Sie hatten aber keinen direkten Kontakt. Er hat aber in die Runde gesagt, dass sie die Steine sichern sollen. Sichern heißt dann, dass keine Dritten drankommen konnten. Er selbst hat keine aufgehoben. Die Beweissicherung ist die Aufgabe eines jeden Polizeibeamten, wenn die KTU (Kriminaltechnische Untersuchung) noch nicht vor Ort ist. Denn Merbitz ist Chef, und was der sagt, wird gemacht! Das geht erst an den Gruppenführer und dann an ihn, als letztes Glied in der Kette.

Er gehörte an dem Abend zum roten Team. Die Kollegen Bergmann, Albrecht und Graf waren nicht in seinem Team. Es war dunkel, die Sichtverhältnisse nicht gut, auch rutscht ihm der Helm manchmal etwas runter, was auch beeinträchtigt.

Er selbst ist Cop in geschlossener Einheit. Es gibt den Streifendienst und geschlossene Einheiten. Die geschlossenen Einheiten sind originär für besondere Einsätze, weil es mehrere Teams sind und man geschlossen auftritt. Achso.

Es wurden noch im Johannapark versucht, Beweise zu sichern. Da waren die Cops alleine, die KTU war nicht anwesend. Bevor er was eingetütet hätte, hätte er nachgefragt. Es geht immer so: erst feststellen, dann melden.

Um das Protokoll von seiner Zeugenvernehmung zu bekommen, hat er einfach seinen Sachbearbeiter bei der KriPo (Kriminalpolizei) angeschrieben. Das hat er auch für zwei Kollegen gemacht, weil er Mitglied der Führungsgruppe ist. Für den einen Kollegen hat er den Bericht ausgedruckt und in sein Fach gelegt. Für den anderen Kollegen hat er es per Mail an seine Ehefrau, die auch Polizeibeamtin ist, geschickt. Im polizeilichen System konnte er den Vorgang nicht einsehen, weil der für ihn gesperrt ist.

Der Antrag der Verteidigung auf Wortlautprotokollierung wird auch hier, wie üblich, abgelehnt.

Die Verteidigung stellt fest, dass POM Fiedler niemanden identifizieren konnte. Außerdem geht sie noch auf den sehr fragwürdigen Umgang mit den Protokollen der Zeugenvernehmung und die Fehlerhaftigkeit der Bewertung der Unfriedlichkeit der Versammlung ein.

„Wie am Connewitzer Kreuz!“

POM Daniel Dobratz wird belehrt und vernommen.

Er erzählt vom Einsatzabend und kann sich vergleichsweise präzise an den „Bewurf“ erinnern: „Zimmermannshämmer, 200 bis 300 Gramm, für Drohgebärden“ und „Pflastersteine, die gut in die Hand passen“.

Die Festnahme hat er selbst nicht gesehen, nur den Abtransport. Er selbst war auch jemandem hinterhergelaufen, aber nicht schnell genug, wegen der Kleidung, es ist „nicht leicht damit“.
Bei der Einsatzauswertung im Nachhinein war die Festnahme gar kein Thema. Das Kommando „Luft“ bedeutet, sich intensiv nach vorn zu bewegen.

Seit 20 Jahren ist er Bulle, Steine hat er schon erlebt, aber nicht in der Größenordnung, auch keine Molotow-Cocktails, angezündet: Es war wie am Connewitzer Kreuz in der Silvester-Nacht, sagt er!

Es wurde auch später noch einmal nach Beweisen gesucht. Da wurde ein Beutel mit Wechselkleidung gefunden. Mehr wisse er nicht mehr.

Die Kollegen aus Dresden waren auch im Einsatz. Er hatte aber nichts mit denen zu tun. Er war im blauen Team, gemeinsam mit den Kollegen Bergmann, Albrecht und Graf. Einzelne Personen aus der Masse konnte er nicht identifizieren.

Sein Vernehmungsprotokoll hat er auch bei seinem Sachbearbeiter bei der KriPo angefordert. Bei ihm gingen auch keine Warnlampen an, als er bemerkte, dass der Vorgang für ihn im polizeilichen System gesperrt ist.

Die Verteidigung beantragt die Protokollierung im Wortlaut, was wie gewohnt durch das Gericht abgelehnt wird.

Die Verteidigung legt in einer Stellungnahme dar, dass es sich vor dem Eingreifen der Polizei um eine friedliche Versammlung handelte und erst das Moment der Anwendung polizeilicher Maßnahmen die Situation eskalierte. Auch konnte POM Dobratz den Beschuldigten nicht identifizieren. Weiter betont die Verteidigung wiederholt den fragwürdigen Umgang mit den Vernehmungsprotokollen.

POM Bergmann, begeisterter Läufer: Ist mal ‘ne 12 auf 100 gelaufen. Damals.

POM Roy Bergmann, 35 Jahre, wird belehrt und anschließend als Zeuge vernommen.

Zu Beginn erzählt er von dem Sachstandsbericht, der am Einsatztag geschrieben wurde. Der ist „auf persönlich gesetzt“ und somit für ihn gesperrt. Vor der erstinstanzlichen Verhandlung am Amtsgericht war das noch nicht so, da hatte er noch Zugriff drauf. Also konnte er sich nicht vorbereiten.

Am Einsatzabend hatte er Nachtschicht auf der Eisenbahnstraße und hat per Funk den Hinweis auf die Vermummten aus dem Clara-Park bekommen. Dazu führt er aus: „Wenn sich 50 Personen vermummen in Leipzig, ist ja nix ungewöhnliches hier, kann man von Körperverletzung oder ähnlichem ausgehen. Oder Sachbeschädigung. Oder schwere Körperverletzung. Oder versuchte schwere Körperverletzung.“

Als die Menge flüchtete, eine Hälfte in Richtung Johannapark, die andere Hälfte in Richtung Bundesverwaltungsgericht, ist er einer Person im Laufduell gefolgt. Er ist begeisterter Läufer und spielt Fußball. Er ist auch mal ‘ne 12 auf 100 gelaufen (Anm. d. Red.: 100 Meter in zwölf Sekunden). Damals. Geschickt wie er ist, stellte er die flüchtige Person wie folgt: Bein stellen, auf den Bauch fallen lassen, draufwerfen und den Kopf fixieren. Besonderheiten hatte der Flüchtige nicht, aber immerhin war er dunkel gekleidet. Versammlungsteilnehmer war er auch nicht, denn es war ja keine Versammlung, zumindest keine angemeldete, seiner Meinung nach. Möglicherweise friedlicher Versammlungsteilnehmer, möglicherweise Passant, vermutlich stand er etwas weiter links, aber wer wisse das schon? POM Bergmann hat ihn jedenfalls erst wahrgenommen, als er schon flüchtete, davor nicht. Es ist ihm auch nichts an ihm aufgefallen, auch kein Stoffbeutel. Er selbst habe sowieso nie einen Beutel gesehen, dass kennt er alles nur von den Kollegen Albrecht und Graf, die den Festgenommenen im Nachgang betreut haben.

Es kamen zwei Bullen hinzu, um ihm zu helfen. Dann ist er vom Beschuldigten runter und hat sich von seinen Corpsbrüdern aufhelfen lassen, die er aber nicht identifizieren konnte, weil diese, wie er selbst auch, sich mit Sturmhauben vermummt hatten. Dabei stürzte er noch einmal, aus unerklärlichen Gründen, stand aber wieder auf. Anschließend entfernte er sich vom Beschuldigten. Er lief noch einmal kurz zur Grünfläche zurück, da ihm ein Handschuh fehlte. Den fand er dort, und auch eine Sturmhaube.

Es war ein lauer Sommerabend, deswegen hatte er wahrscheinlich auch die Ärmel seiner Uniform hochgerollt. Obwohl das gegen die Vorschriften verstößt, und das weiß er auch! Trotzdem kann er sich nicht als den Riot-Cop mit hochgekrempelten Ärmeln aus dem Video identifizieren, der den Beschuldigten körperlich misshandelt hat.

Seinen Sachstandsbericht jedenfalls besteht nicht bloß aus eigenen Erfahrungen, sondern auch aus Hörensagen, so zum Beispiel die fliegenden Hämmer und Gullideckel.

Die Cops als beste Zeug*innen für ihre eigene Unschuld

Nach dieser Zeugenvernehmung folgen noch die obligatorischen Anträge der Verteidigung und die Ablehnung eben dieser durch das Gericht.

POM Bergmann konnte durch sein Läufertalent beeindrucken, aber wer dem Genossen die Nase gebrochen hat, ist seltsamerweise auch nach der gesamten Vernehmung des taktischen Teams „blau“ nicht geklärt.

United we stand! Unsere Solidarität gegen ihre Repression!
Wir lassen den betroffenen Gefährten nicht allein!
Es wird Berichte der weiteren Prozesstage geben.

Rote Hilfe Ortsgruppe Leipzig

 

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