Prozessbericht Tag 3: Allerlei verschiedene Stoffbeutel

Bericht vom 3. Verhandlungstag des Berufungsverfahrens zum bisher einzigen Prozess im Zusammenhang mit der Johannapark-Sponti 2015 vorm Landgericht Leipzig

Im Kontext des G7-Gipfels im bayrischen Elmau fand am 5. Juni 2015 eine Spontandemonstration in Leipzig statt. Bei dieser Sponti im Umfeld des Johannaparks gab es Auseinandersetzungen mit herbeigerufenen Cops, das nahegelegene Bundesverwaltungsgericht wurde mit Steinen und Farbe beworfen, und es wurden Barrikaden errichtet.

Es gelang in dieser Nacht den Cops nur eine Person festzunehmen und mit dieser Aktion in Verbindung zu setzen – was für den Gefährten eine von den Bullen gebrochene Nase, eine Hausdurchsuchung sowie die Erpressung von DNA-Proben unter dem Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs und der Körperverletzung zur Folge hatte.

Das erstinstanzliche Verfahren vor dem Amtsgericht Leipzig im August/September 2016 endete, trotz schwacher Beweislage der Staatsanwaltschaft, mit einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten sowie 100 Sozialstunden. Der Richter ließ es sich damals nicht nehmen, noch auf die Milde des Urteils hinzuweisen: ohne den Nasenbeinbruch durch die Cops hätte es wohl eine noch härtere Strafe gegeben.

Der Staatsanwaltschaft war die verhängte Strafe nicht genug, weshalb sie Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichtes einlegte. Derzeit läuft vor dem Landgericht Leipzig das Berufungsverfahren.

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Es folgt ein Bericht vom dritten Prozesstag am 21.08.2017.

Unterbrechungen und Einschränkungen der Verteidigung

Der dritte Verhandlungstag war geprägt von Auseinandersetzung zwischen der Verteidigung und dem Gericht über den Umgang mit Polizeizeug*innen, deren Aussagen und deren Glaubwürdigkeit, sowie der Möglichkeiten der Verteidigung, ihre Aufgabe vor Gericht wahrnehmen zu können.

So begann die Verhandlung mit einer Diskussion zwischen Staatsanwaltschaft, der Verteidigung und dem Gericht, ob der Polizeizeuge Albrecht, gegen den ein Disziplinarverfahren läuft, überhaupt vernommen werden könnte. Die Verteidigung würde im Hinblick auf eine Vernehmung des Polizeibeamten Albrecht die Aussetzung der Hauptverhandlung beantragen. Das Gericht folgte dieser Ansicht nicht und plant den Polizeizeugen Albrecht definitiv vernehmen zu wollen. Die Verteidigung fuhr sodann mit einer Zwischenerklärung fort und legte dar, dass die bisherigen Prozesstage und Zeugenvernehmungen keinerlei Beobachtungsmomente gegen den Angeklagten hervorgebracht hätten und verwies auf ihre Forderung nach einem Freispruch, hilfsweise Geldstrafe, für den angeklagten Genossen. Die Staatsanwaltschaft unterbrach die Ausführungen bereits nach den ersten Sätzen und wollte fehlende Beobachtungsmomente über die nebulöse „Gesamtwürdigung der Umstände“ ausgeräumt wissen. Dem Gericht führte die Zwischenerklärung der Verteidigung zu weit und es versuchte diese als unrechtmäßigen Vorgriff auf das Schlussplädoyer abzubügeln, stattdessen solle die Verteidigung eine Regelung zitieren, welches eine solche Zwischenerklärung erlaube. Auch den Protest der Verteidigung, dass es überhaupt eine spezielle Norm bräuchte, um die verfassungsmäßig verbriefte Freiheit der Verteidigung einzuschränken, und hingegen aber keine, um diese überhaupt erst explizit zu erlauben, wurde vom Gericht beiseite gewischt.

Ein mehr als bedenkliches Rechtsverständnis, denn die Verteidigung braucht kein ausdrückliches Erlaubnis in der StPO zu berücksichtigen. Hingegen ist die Verteidigung gegen das Strafverfolgungsinteresse des Staates sowohl für die*den Angeklagte*n als auch für ihre*seine Verteidiger*in ein Grundrecht. Die Strafverteidigung allgemein ist bereits durch das Grundgesetz erlaubt. Eine Erlaubnis durch die StPO, welches ein nachrangiges Gesetz im Vergleich zum Grundgesetz ist, ist daneben nicht mehr erforderlich. Demnach sind für die Verteidigung nur Verbote durch die StPO zu beachten. Das vorliegende Verteidigungsmittel war jedoch nicht verboten. Umgekehrt muss der Staat aber, wenn er Verteidigungsmittel einschränken will, immer ein Verbot in der StPO finden, denn ohne ein solches darf er nicht tätig werden. Ein solches konnte das Gericht vorliegend leider nicht nennen.

Befangenheitsantrag gegen den Richter

Nachdem der Richter die Zwischenerklärung der Verteidigung unterbrach, wollte er fortfahren mit der Vernehmung des Polizeibeamten Graf. Er sagte, dass nun keine Anträge der Verteidigung mehr angenommen würden, diese könnten aber zu einem späteren Zeitpunkt ohne Rechtsnachteile gestellt werden. Die Verteidigung hat Anträge stellen wollen und zwar einen Widerspruch gegen die Vernehmung des Zeugen. Falls dieser Antrag abgelehnt werden würde, zweitens einen Antrag auf Wortlaufprotokollierung des Polizeibeamten Grafs und drittens einen Antrag auf ein aussagepsychologisches Gutachten, welches Klärung bringen sollte, welche Teile der Aussage des Polizeibeamten Grafs tatsächlich auf selbst erlebtem beruhten. Das dies aber zu einem späteren Zeitpunkt in der Verhandlung ohne Rechtsnachteile nicht möglich ist, liegt auf der Hand: Einer schon geschehenen Vernehmung kann nicht im Nachhinein effektiv widersprochen werden. Auch ein Antrag zur Wortlautprotokollierung nach der getätigten Aussage wie auch einem aussagepsychologischen Gutachten können nicht mehr sinnvoll gestellt werden, wenn der Zeuge bereits vernommen ist. Der Richter erkundigte sich nach der Länge der Antragsbegründung und lehnte deswegen die Annahme der Anträge ab.

Daraufhin wurde ein Befangenheitsantrag gestellt, mit dem Verweis darauf, dass der Verteidigung das Beweisantragsrecht versagt wird, wenn Anträge nur noch zu sinnlosen Zeitpunkten gestellt werden könnten und der Richter eine schnelle Erledigung einer sachgerechten Aufklärung vorziehe, was auch daran zu erkennen war, dass der Richter den Eindruck vermittelte, einen kurzen Antrag eventuell vorher anzunehmen.

Weitere Zeug*innen, wenig Erkenntnisse

Der geladene Polizeizeuge Graf fehlte unentschuldigt.

Die Vernehmungen der Polizeizeugen Ulrich und Pfeiffer ergaben wenig neue Erkenntnisse, auch sie hatten den Angeklagten nie direkt gesehen, dafür aber immerhin allerlei verschiedene Stoffbeutel: einer der Hauptbelastungsgegenstände, da angeblich gefüllt mit Steinen. Wo sich der Stoffbeutel beim Angeklagten jedoch genau befand, ob nun auf seiner Schulter oder neben ihm auf der Wiese, blieb mal wieder im Dunkeln. Auch zeigte sich wieder erstaunliche Unkenntnis in der Beschreibung von alltäglichen Gegenständen: So wurden in den Aussagen von PHK Ulrich aus Pflastersteinen Ziegelsteine. Es wurde außerdem klar, dass die Polizei die Menschenmenge an dem Abend des 5. Juni 2015 zwar als Spontanversammlung angesehen hatte, so war die Durchgabe durch Polizeifunk, jedoch nie Anstalten zum Auflösen vorgenommen habe (vgl. Brokdorf-Beschluss zur Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit). Innerhalb der Polizeistrukturen gab es nach Aussage von Ulrich und Pfeiffer auch keinerlei Auseinandersetzung über die Verletzung des Angeklagten bei der Festnahme. Die Verteidigung kritisierte diese Nicht-Reflektion und die mögliche Verfestigung solcher Verhaltensweisen, und benannte die „polizeiliche Kultur des Schweigens“ innerhalb der Einheiten (vgl. „Cop Culture – Der Alltag des Gewaltmonopols: Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur in der Polizei“ von Rafael Behr, Prof. für Polizeiwissenschaften, Fachhochschulbereich d. Akademie d. Polizei Hamburg).

Der letzte Zeuge des Tages, kein Cop, stattdessen nach Aussage des Gerichts „ganz normaler Bürger“, verbrachte den besagten Abend im Johannapark mit Freund*innen beim entspannten Grillen. Als der Zeuge wahrnahm, wie sich andere Menschen mit schwarzen Klamotten ebenfalls im Park versammelten, wurde ihm jedoch schnell unwohl. Diese „konspirative“ Gruppe, so die Vermutung, seien Sprayer. Weil der Zeuge ein „anständiger Bürger“ ist und ihm „Ordnung und Gesetz sehr wichtig“ sind, hatte er deshalb die Polizei informiert. Die besagte Gruppe könne 10 Personen oder auch 40 Personen umfasst haben. Er bestätigt, wie vorangegangene Zeug*innen, dass viele Leute dieser Gruppe einen Stoffbeutel trugen. Auch konnte er die Gruppe nicht beobachten, wie sie den Park verließ. Es schien keine oder kaum Kommunikation innerhalb der Gruppe gegeben zu haben. Die Verteidigung zog daraus in einer Stellungnahme die Schlussfolgerung, dass der Baumwollbeutel kein Wiedererkennungsmerkmal sein könne. Weiter hat offensichtlich keine Verabredungen zwischen den Leuten stattgefunden, der Angeklagte kann deshalb nicht für das Handeln Dritter verurteilt werden. Da die Angabe des Zeugen zu der Größe der Gruppe mit der späteren Anzahl auf der Spontanversammlung kollidiert, da handelte es sich nach Angaben der Polizei um „eine Gruppierung von 100 bis 150 Individuen“, ist darüber hinaus völlig unklar, ob die angeblichen Beobachtungen überhaupt mit der späteren Versammlung im Zusammenhang stehen.

Die 4. Kammer des LG Leipzig muss nun zeitnah über den Befangenheitsantrag gegen den Richter entscheiden, einige weitere Prozesstage können derweil jedoch noch ins Land gehen.

United we stand! Unsere Solidarität gegen ihre Repression!

Wir lassen den betroffenen Gefährten nicht allein!

Es wird Berichte der weiteren Prozesstage geben.

Rote Hilfe Ortsgruppe Leipzig, September 2017

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