Weitere Infos für Betroffene rund um das Tag X – Wochenende

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Hinweis vorab: In dem folgenden Text gehen wir auf das gegen euch gerichtete Ermittlungsverfahren ein.
Neben oder innerhalb dieser Ermittlungsverfahren habt ihr außerdem die Möglichkeit einzelne polizeiliche Maßnahmen überprüfen zu lassen Zum Beispiel eine Freiheitsentziehung in Form des Kessels oder gegen die Beschlagnahme der Handys. In einem solchen Verfahren zum Tag X könnte es also bspw. darum gehen, den Kessel auf einer rechtlichen Ebene „anzugreifen“. Dazu hatten wir bereits Anträge veröffentlicht und es werden zu einem späteren Zeitpunkt weitere Updates unsererseits folgen.
Um diesen Sachverhalt geht es uns aber hier explizit nicht.

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Hallo allerseits!

Ein Ermittlungsverfahren ist der erste Schritt im Strafverfahren und hat immer einen Vorwurf aus dem Strafgesetzbuch zum Gegenstand – in eurem Fall mehrheitlich der Vorwurf des „besonders schweren Fall des Landfriedensbruch“. Einzelne haben vielleicht noch zusätzliche Vorwürfe, wie tätlicher Angriff, gefährliche Körperverletzung oder Ähnliches.
Sich bereits im Ermittlungsverfahren durch Anwält*innen vertreten zu lassen, ist nicht notwendig, erhöht aber deutlich den Druck auf die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden und kann aber die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das Verfahren eingestellt wird, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht alle Ermittlungsmöglichkeiten (z.B. Hausdurchsuchungen) ausgeschöpft wurden. Inzwischen gibt es deutlich mehr ansprechbare Anwält*innen. Solltet ihr euch anwaltlich vertreten lassen wollen, lest bitte das Nachfolgende gründlich.

Anwält*innen, auch solidarische, haben das vorrangige Ziel, die Strafe für ihre*n Mandant*in gering zu halten. Wir, die Rote Hilfe, verfolgen politische Ziele. Wir unterstützen darum nur solche Verfahren, die wir als politisch richtig oder zumindest nicht falsch bewerten. Klartext: Uns geht es nicht darum, dass du da möglichst gut raus kommst, sondern alle Betroffenen, und zwar nachhaltig. Das heißt, dass auch der Schaden für uns als Bewegung und für die Betroffenen von Morgen mitgedacht werden muss. Wir unterstützen daher nur dann finanziell, wenn die Prozessstrategie in diesem Sinn solidarisch ist. Offensichtlich ist es nicht okay, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das heißt aber auch, dass man keine Aussage zur Sache macht, denn jede Aussage lässt Schlüsse auf die anderen zu: Wenn du es nicht warst, waren es die anderen. Das gilt auch für Einstellungen gegen Geständnisse. Es ist daher auch nicht okay, selber Zeug*innen zu berufen. Erstens schenkt man den Behörden dadurch zusätzliche Informationen durch Aussagen (z.B. wer kennt wen und geht mit wem auf die Demo). Zweitens bringt man die Zeug*innen und mit deren Aussagen auch die Bewegung in große Gefahr. Als Zeug*in hat man kein unbedingtes Aussageverweigerungsrecht und ist so womöglich selbst Repression ausgesetzt.
Wir finden es auch nicht in Ordnung, sich zu entschuldigen, Reue zu zeigen oder sich zu distanzieren von etwas, was wir bejahen, also beispielsweise Gewalt gegen Repressionsorgane. Wir wünschen uns, dass alle Betroffenen des Kessels verstehen, dass es immer einige erwischt, aber alle meint. Schon allein darum gilt es, die Erzählung von der friedlichen Masse und den einzelnen, bösen Randalierer*innen entschieden abzulehnen. Wir weisen also darauf hin, dass wir die Verfahrens- und Anwält*innenkosten auf Antrag nur übernehmen, wenn keine Einlassungen zur Sache, Distanzierungen und Entschuldigungen getätigt werden. Anwält*innenkosten übernehmen wir nur in Höhe der Pflichtverteidiger*ingebühren.

Solltet ihr euch dafür entscheiden, euch eine*n Anwält*in zu nehmen, schreibt uns euren Namen, Geburtdatum und Meldeadresse. Wir leiten diese dann weiter an einen inzwischen ausreichend großen Pool von Anwält*innen, die sich als solidarisch verstehen und miteinander in Kontakt stehen, was eine gemeinsame, solidarische Prozessstrategie nicht garantiert, aber zumindest erleichtert.
Die Anwält*innen, an die wir euch ggf. vermitteln, verstehen sich im Kontext des TagX-Kessels als solidarisch. Sie gehören aber nicht alle zu dem Kreis jener Anwält*innen, mit denen wir sonst auf einer engeren, vertrauten Ebene zusammenarbeiten und uns gut kennen.
Wir möchten euch außerdem dazu ermutigen, dass ihr für euch klar habt, dass es in einem Strafverfahren auch um euch geht: Die Anwält*innen arbeiten für euch – eure politische Haltung und Bedürfnisse sollten in eurer juristischen Vertretung berücksichtigt werden. Betrachtet es als eure Aufgabe, das politische Vorgehen im Prozess zu gestalten. Dabei können eure Vorschläge von denen der Anwält*innen abweichen. Prozesse sind genauso Teil des Politischen wie die Demo auf der Straße – wir werden euch dabei nicht alleine lassen.
Wenn ihr euch mit der von Anwält:innen angestrebten Verteidigungsstrategie unsicher seid, kommt gerne zu uns in die Sprechstunde.

Eure Rote Hilfe Leipzig
August 2023

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