Stellungnahme zur DDR Debatte – „Uneins in die Zukunft!“

Innerhalb der bundesweiten Solidaritätsstruktur Rote Hilfe gibt es seit Ende letzten Jahres großen Rede- und Klärungsbedarf. Grund dafür: In der viel gelesenen Mitgliederzeitschrift Rote Hilfe Zeitung (RHZ) wurde in der Ausgabe 4/2016 unter dem Schwerpunktthema „Siegerjustiz – Verfolgung und Delegitimierung eines sozialistischen Versuchs seit 1990“ die juristische und repressive Abwicklung der DDR und ihrer Organe durch die BRD nach 1990 besprochen.

Die Gemüter kochen über diesen Schwerpunkt seit einiger Zeit hoch. Verständlich, sofern der Konflikt doch die Frage nach dem linken Selbstverständnis berührt.

Für Menschen außerhalb der Aktivist*innenstrukturen sind die Meinungsbildungsprozesse in der Roten Hilfe oft schwer nachzuvollziehen. Dies liegt zum einen in der organisatorischen Trennung von Bundesvorstand, Redaktion der RHZ und Ortsgruppen, die durchaus verschiedenste  Meinungen vertreten, auch innerhalb der jeweiligen Organisationsstruktur. Zum Anderen werden viele Argumente nur intern ausgetauscht.

Daher möchten wir im Folgenden einige Argumente aus der laufenden Diskussion unserer Ortsgruppe zu einem breiteren Publikum verhelfen und abschließend unsere Position umreißen:

Konsensualer Ausgangspunkt für unsere Diskussion war, dass die DDR ihre Einwohner*innen einer umfassenden und auch willkürlichen Überwachung aussetzte. Hierbei stellte sich die kontroverse Frage, ob und in wie weit dies möglicherweise berechtigte Selbstverteidigung eines linken Gesellschaftsprojekts darstellte. Die Sicherheitsorgane der DDR übten jedoch auch Repressionen gegen Linke aus, unabhängig davon, ob diese Linken tatsächlich oder bloß vermeintlich widerständig waren. Hierzu haben unsere Genoss*innen aus den Ortsgruppen in Dresden und Potsdam eine klare Position entwickelt, die wir nachvollziehen können.

Die kritische Auseinandersetzung mit dem real existierendem Sozialismus steht aus gutem Grund auf der linken Tagesordnung. Einwendbar ist, dass sie allerdings in der Gefahr steht, in den Chor der Antikommunist*innen einzustimmen.

Unstrittig war dabei für uns, dass die Funktionär*innen der DDR nach 1990 Repressionen seitens der BRD ausgesetzt waren. Hierbei war der BRD-Justiz in der Sache jedoch allein die antikommunistische Aburteilung des Projekts DDR im Sinn, nicht etwa deren kritische Aufarbeitung oder gar eine Strafverfolgung im Sinne der bundesrepublikanischen Rechtsprechung. Die SED wurde als linke Partei, so sehr oder so wenig dies wirklich der Fall gewesen ist, abgeurteilt.

Die DDR war nach dem 2. Weltkrieg für viele überlebende Linke das historische Projekt, eine antifaschistische Gesellschaft in Opposition zum Kapitalismus aufzubauen und wurde unter anderem auch in diesem staatstragenden Gedanken gegründet. Es wurde in unserer Aktivist*innengruppe kontrovers diskutiert, welche Auswirkungen diese Bewandtnis auf die Bewertung der späten DDR haben kann, dahingehend auch, ob die DDR als autoritäres Regime nicht sogar generell abzulehnen ist.

Schließlich stellten sich einige Fragen zur Diskussion selbst. Es wurde aufgetan, dass die RHZ Ausgabe 4/2016 in ihrer Gänze gegen die Enthaltung zu allgemeinpolitischen Aussagen verstieß. Das Argument der RHZ Redaktion, die Ausgabe würde sich allein um die Repression gegen DDR-Funktionär*innen drehen und daher gehe die Kritik am Gegenstand vorbei, ist für uns nur schwer bis gar nicht nachzuvollziehen. Ein solch kontroverses Thema in einem Schwerpunkt derart einseitig zu thematisieren, im Zusammenspiel mit der offensichtlichen Einsichtslosigkeit der Redaktion in späteren Stellungnahmen, scheint gerade nach einer hitzigen Debatte zu lechzen, die sich natürlicherweise anschloss.

Wir sind der Auffassung, dass eine Gegenausgabe die konträren Positionen und bisher fehlenden Fakten gut abbilden würde und daher notwendig ist.

Diese knapp aufgeführten Argumentationsstränge wurden über mehrere Monate eröffnet. Oft kommen wir jedoch an den verschiedensten Stellen der Diskussion an die Grenzen der Konsensentscheidung, was eine bisherige abschließende Stellungnahme verunmöglichte. Kurz: Wir sind uns nicht einig.

Jedoch halten wir dies nicht für eine Schwäche unserer Struktur, ganz im Gegenteil: Wir sind uns uneins, solidarisieren und organisieren uns jedoch weiterhin mit dem Kampf um eine befreite Gesellschaft, so krisengebeutelt dieser derzeit auch sein mag. Wir halten dies für die Stärke unserer Organisierung: Widersprüchen solidarisch begegnen zu können.

Daher fordern wir, dass die Diskussion um die RHZ Ausgabe weiter solidarisch geführt wird.

Rote Hilfe OG Leipzig, Juli 2017

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