Der Leipziger Ortsteil Connewitz ist seit Februar diesen Jahres wieder in aller Munde. Nachdem der ritualisierte Rauch um das ebenfalls ritualisierte Silvester-Come-in am Connewitzer Kreuz verflogen war, wartete die Polizei gemeinsam mit der Stadt Leipzig mit einer ganz speziellen Idee auf: einem eigenen Polizeiposten für Connewitz.
Dieser hat Anfang Februar die Räume des ehemaligen Bürger*innenamtes in der Wiedebachpassage bezogen. Das Amt ist mehrfach Ziel von Angriffen gewesen und blieb seit Sommer 2013 aufgrund der wiederholten Zerstörung der Schaufensterscheiben geschlossen.
Der Polizeiposten fungiert – wie auch die rund um die Uhr davor stationierten Polizeiwagen – laut Stadt und Polizei als Schutz, das Bürger*innenamt selbst ist ins Innere der Passage gezogen. Man werde keine rechtsfreien Räume in der Stadt zulassen, so der Oberbürgermeister zur Eröffnung des Postens. Eine Wortkonstruktion, die übrigens auch die rechtsaußen-Parteien NPD und AfD für den Stadtteil verwenden.
Die aufkommende Kritik am Polizeiposten, der von so manchem/r im Viertel als Machtdemonstration wahrgenommen wird, wurde schnell zum Protest. Nach einer ersten satirischen Protest-Kundgebung vor dem Posten [1] verlagerte sich die Diskussion allerdings schnell weg vom eigentlichen Sujet hin zur Frage, was Satire darf. Die eigens gegründete Initiative „Für das Politische“ versucht(e) die Diskussionshoheit zurückzugewinnen. In dem Aufruf „Let’s talk about Connewitz“ [2] wird versucht die Eröffnung der Polizeistation in einen größeren Kontext einzuordnen: eine massive Polizeipräsenz im Alltag, verdachtsunabhängige Kontrollen, die polizeiliche Dauer-Videoüberwachung am Connewitzer Kreuz (mit kurzer Unterbrechung seit 1999) und die Stigmatisierung des Viertels als Hort „linksextremistischer“ Gewalt.
Von den staatlichen Organen wird Connewitz als “gefährlicher Ort” kategorisiert – ein juristisches Konstrukt, das es der Polizei z.B. erlaubt, Personen, die sich an jenen Orten aufhalten, ohne konkreten Tatverdacht festzuhalten und sie polizeilichen Maßnahmen – i.d.R. Identitätsfeststellung und Durchsuchung – zu unterziehen. Hinzu kommen die Möglichkeiten des Eingriffes in die informationelle Selbstbestimmung durch die Videoüberwachung öffentlicher Räume. „Gefährliche Orte“ heißen im sächsischen Polizeijargon „Kontrollbereiche“. Sie sind im Sächsischen Polizeigesetz in den §§ 19, 23 und 24 definiert.
Nach dem Sozialwissenschaftler Peter Ullrich werden „die sozialräumlichen Gestaltungsmöglichkeiten auf Grundlage dieser Rechtskonstruktion […] mittlerweile zur Erreichung unterschiedlicher stadtplanerischer, ordnungs- und kriminalpolitischer Ziele eingesetzt: von der Umgestaltung und insbesondere der Aufwertung städtischer Räume über Migrationsmanagement oder die Befriedung politischer Dissidenz bis zur Durchsetzung hegemonialer Ordnungsvorstellungen.“ [3]
Der Polizei wird damit nicht nur das Aushebeln von Grundrechten ermöglicht, es wird zudem der Willkür gegen unliebsame gesellschaftliche Gruppen Tür und Tor geöffnet – alles unter dem Deckmantel der „Prävention“.
In Sachsen sind die Schwellen für solche Maßnahmen vergleichsweise niedrig. Im Nachgang der Antinazi-Aktivitäten in Dresden im Februar 2011 konnte zumindest die massenhafte Funkzellenabfrage unter dem Namen „Handygate“ erfolgreich skandalisiert werden. Wirkliche Konsequenzen folgten daraus, bis auf die Anerkennung der Verfassungswidrigkeit der Maßnahme durch das Landesgericht im April 2013 und der angeordneten Löschung der erhobenen Daten, augenscheinlich nicht.
Nur wenige Wochen nach Eröffnung der Polizeistation erhärtete sich die These , dass es tatsächlich einen sehr speziellen Umgang der Sicherheitsbehörden mit dem Kiez gibt. In einem leer stehenden Haus in der Simildenstraße wurde sehr teure Überwachungstechnik gefunden und deinstalliert. Die Beschaffenheit des Technikequipment – eine Brennstoffzelle, Kamera, ein System zur Bildaufzeichnung und ein LTE-Router zur Steuerung der Technik und zum Übertragen der Aufnahmen – ließ vermuten, dass es sich um eine staatliche Überwachungsmaßnahme handelt. Gegenüber der Presse räumte die Staatsanwaltschaft Dresden mittlerweile ein, dass die Observationsmaßnahme im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens durchgeführt wurde. Weitere Informationen werden bis dato verweigert. Abgeordnete der Oppositionsfraktionen haben bereits Anfragen in den parlamentarischen Geschäftsgang gebracht.[4]
Währenddessen will die Initiative „Für das Politische!“ den Protest gegen Überwachungsmaßnahmen und den kriminalisierenden Umgang mit der im Kiez angesiedelten politischen und alternativen Szene vorantreiben. Dazu gehört auch die Frage nach kollektiven Formen des Widerstandes gegen Gentrifizierungsprozesse. Dabei geht die Initiative darüber hinaus, politische Erklärungen für eingeschlagene Scheiben zu liefern, deren Motivation und Anlass eher nebulös erscheinen. Die Herausarbeitung gemeinsamer inhaltlicher Positionen der Connewitzer_innen, die Planung politischer Stadtteilrundgänge und die Bildung verschiedener Arbeitsgruppen weisen eine hoffnungsvolle Dynamik auf.
Anmerkungen:
- Die Initiative „No Police District“ (NPD) Connewitz hatte am Abend des 22.2.2014 zum Protest gegen den neuen Polizeiposten aufgerufen. Fast 200 Menschen kamen, mit Schildern („Dafür sind wir 1998 nicht auf die Straße gegangen“, „Geht doch zurück in die Südvorstadt“ etcpp.), Mistgabeln und Fackeln aus Pappe. Mit diesem Auflauf sollten die rassistischen Mobilisierungen gegen Asylunterkünfte durch Bürger*innenmobs auf die Schippe genommen werden.
- Der Aufruf „Let´s talk about Connewitz“ wurde mittlerweile von 24 Initiativen, Locations, Vereinen aus dem Kiez unterschrieben, http://fuerdaspolitische.noblogs.org/lets-talk-about-connewitz/
- Peter Ullrich & Marco Tullney: Die Konstruktion ‚gefährlicher Orte‘. Eine Problematisierung mit Beispielen aus Berlin und Leipzig, 2013, http://www.sozialraum.de/die-konstruktion-gefaehrlicher-orte.php
- siehe Anfrage an den Oberbürgermeister, März 2013, http://jule.linxxnet.de/index.php/2013/03/gentrification-kein-ordnungspolitisches-problem/