Folgend auf den Bundestagsbeschluss vom 27.04.2017, wo neben anderen Gesetzesverschärfungen auch die Erweiterung der Sanktionierungsmöglichkeiten von Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte, §§ 113 ff. StGB, beschlossen wurde, traten die Änderungen am Dienstag, den 30.05.2017 in Kraft.
Unter den sieben Sachverständigen im Rechtssausschuss zur Anhörung waren übrigens drei Polizist*innen: Angehörige der Berufsgruppe, welche laut GdP (Gewerkschaft der Polizei) nun „seit acht Jahren um diese Norm kämpft“. Naheliegendes Motiv für das Einbringen des Gesetzes und das zugehörige schnelle Verfahren mag der im Juli diesen Jahres anstehende G20-Gipfel in Hamburg sein, zu dem mit breiten Protesten zu rechnen ist, welche den Polizist*innen vor Ort haufenweise Anwendungsfälle für die verschärften §§ 113 ff. StGB bieten werden.
Die konkreten Änderungen
Die Gesetzesänderung regelt im wesentlichen vier Aspekte neu: Der bisherige § 114 wird zu § 115, und umfasst nun auch „tätliche Angriffe“ gegen Personen die Vollzugsbeamten gleichstehen, z.B. Rettungskräfte. Zuvor waren lediglich Widerstandshandlungen unter Strafe gestellt. Relevanter für unsere politische Praxis sind hierbei aber die weiteren drei Apsekte der Gesetztesänderung. Der bisherige § 113 wird nun aufgeteilt in § 113, welcher Widerstandshandlungen umfasst, und in § 114, welcher „tätliche Angriffe“ normiert. Das Strafmaß bei § 113 bleibt bei Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe.
Der neu formulierte § 114 beinhaltet den „tätlichen Angriff“ gegen Vollzugsbeamt*innen als eigenen Straftatbestand. Anwendung findet dies nicht nur bei Vollzugshandlungen, sondern bei jeder beliebigen Diensthandlung. Der „tätliche Angriff“ wird im Sinne des § 114 als jede aktive Handlung gegen den Körper der Polizist*innen definiert.
Dies greift zum Beispiel auch, wenn du versuchst dich aus einem Polizeigriff zu befreien oder den Arm einer*s Polizist*in bei einer versuchten Ingewahrsamnahme wegschlägst. Das Mindeststrafmaß bei § 114 beträgt 3 Monate Freiheitsstrafe. Eine Möglichkeit zur Milderung ist nicht vorgesehen, also sind Richter*innen auch dazu verpflichtet, dieses Strafmaß tatsächlich zu verhängen. Eine Verschärfung des § 114 auf ein Mindeststrafmaß von 6 Monaten Freiheitsstrafe ist dafür aber vorgesehen. Der § 114 Abs. 2 richtet sich nach den Vorschriften des § 113 Abs. 2. Besonders hervorzuheben bei diesen Fällen ist, dass bereits das bloße Mitführen einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs als besonders schwere Widerstandshandlung oder besonders schwerer tätlicher Angriff erfasst wird, völlig unabhängig von einer etwaigen Verwendungsabsicht. Dabei wird aber nicht nur das eigene Mitführen unter Strafe gestellt, sondern auch, wenn eure Begleiter*innen einen enschlägigen Gegenstand bei sich tragen. Das gleiche verschärfte Strafmaß ist auch dann einschlägig, wenn der Tatbestand gemeinschaftlich verwirklicht wird.
Ein paar anschließende Vergleiche…
…als ein gefährliches Werkzeug wird in der Rechtsprechung jeder Gegenstand gehandelt, welcher objektiv nach seiner Beschaffenheit und der Art seiner konkreten Verwendung geeignet ist, erhebliche körperliche Verletzungen herbeizuführen, z.B. Glasflaschen oder spitze Nagelfeilen
…ein Mindeststrafmaß von 6 Monaten findet sich im Gesetz sonst nur bei Straftaten, wie schwerer Körperverletzung und Zwangsprostitution, nicht einmal jedoch bei der vollendeten einfachen Körperverletzung
…schon der Versuch ist strafbar
Hintergründe der Änderung
Als Anlass für die Verschärfung des Gesetzes wurde ein permanenter Anstieg von Widerstandshandlungen und tätliche Angriffe auf Polizeibeamt*innen herangezogen. Woher diese Annahme kommt, ist unklar. Es gibt de facto keine eigene Zählung von tätlichen Angriffen auf Polizeibeamt*innen, die Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamt*innen gingen zurück.
Für die hier angeführte Zahl von Angriffen auf Polizeibeamte sind nicht etwa strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder gar eine rechtskräftige Verurteilung unter dem Vorwurf des § 113 StGB, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder §§ 224 ff. StGB, Körperverletzung, relevant, sondern allein das subjektive „Opfergefühl“ der sich betroffen fühlenden Polizeibeamt*innen. Das heißt, bei der Zählung sogenannter Angriffe wird sich weder an einer allgemeingültigen Definition des Begriffs, noch am geltenden Recht orientiert, sondern an bloßen Befindlichkeiten der Polizei. Auch ein ausgeprägter Corpsgeist kann hier dazu führen, dass sich gleich eine ganze Einheit angegriffen und als Opfer fühlt, obwohl sie faktisch gar nicht betroffen sind.
So können die Opferzahlen steigen, auch wenn die Fallzahlen stabil bleiben oder sich gar verringern. Auch scheint es unter Polizeibeamt*innen verbreiteter Habitus zu sein, ihre Opfereigenschaft statistisch registrieren zu lassen, so sind die Zahlen bei ihnen hier eklatant höher als in der Allgemeinbevölkerung. Bei gefährlichen Körperverletzungen beispielsweise werden in der allgemeinen Statistik pro vollendetem Delikt circa 16% Versuche angezeigt, bei Polzeibeamt*innen beträgt die Zahl der angezeigten Versuche hingegen 125%. Der objektive Aussagegehalt der zur Begründung angeführten Zahlen wird auch dadurch relativiert, dass die Polizei ihre Kriminalstatistik selbst führt und diese nicht durch objektive Außenstehende prüfen lässt.
Als Begründung für die Notwendigkeit einer Verschärfung der §§ 113 ff. StGB wird auch regelmäßig das Argument herangebracht, dass bis dato Polizeibeamt*innen einen strafrechtlichen Schutz nur dann genießen, wenn diese dabei sind, eine Vollstreckungshandlung durchzuführen und damit ungleich behandelt werden. Das ist falsch. Das gesamte Strafrecht sieht bereits einen umfassenden Katalog an alternativen Verbotsnormen zur Sanktionierung oben genannter Handlungen vor: Beleidigung, Bedrohung, Nötigung, Körperverletzung, usw. Der „tätliche Angriff“ ist dabei zumeist schon von den Verbotsnormen der (versuchten) Körperverletzung gedeckt, soweit eine Verletzungsabsicht vorliegt. Eine Verschärfung der §§ 113 ff. StGB hat dann zur Folge, dass auch eine potentielle Angriffshandlung ohne Verletzung oder Verletzungsabsicht schon eine Mindeststrafe auslöst. Die Verschärfung der §§ 113 ff. StGB stellt damit eindeutig eine Priviligierung der Polizei als solche dar – ein typisches Merkmal autoritärer Staaten.
Was heißt das für unsere politische Praxis?
Die Anwendung der §§ 113 ff. StGB im Zusammenhang mit Versammlungen wird deutliche Folgen haben. Einerseits liegt wegen einer intensivierten Abschreckungswirkung eine vermehrte Nicht-Teilnahme an Versammlungen bzw. die Nicht-Vornahme bestimmter Handlungen nahe. Andererseits aber auch, wenn es zu Verurteilungen nach den §§ 113 ff. StGB kommt, welche es für Aktivist*innen verunmöglicht, weiterhin von der Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen.
Die Begründung zur Verschärfung der §§ 113 ff. StGB nimmt außerdem eine Verschiebung des ursächlichen Moments vor. So wird es dort so dargestellt, als ob Bürger*innen ständig einfach so Polizist*innen angreifen würden, wobei verkannt wird, dass immer zuerst eine polizeiliche Zwangsmaßnahme vorausgeht, welche die Konfliktsituation eskaliert. So sind es die Polizist*innen selbst, mehrfach bewaffnet, im Schutzanzug gekleidet und im Nahkampf ausgebildet, welche Kontakt und Stressmomente zu den Aktivist*innen aufbauen, diese hochschaukeln und dann auch noch den Moment definieren, wann die Schwelle zur strafbaren Widerstandshandlung überschritten ist. Wenn dann Verfahren zu einer Mittels der §§ 113 ff. StGB geführten Gegenanzeige geführt werden, wird sich wieder zeigen, wie viel mehr Glaubwürdigkeit Polizeizeug*innen zugesprochen wird. Im Prozess sind sie dann meist einziges und eigenes, aber immer doch nach der Logik des Staates per se objektives und glaubwürdiges Beweismittel und kollektives Opfer zugleich, generell gültige und normierte Grundsätze des Strafverfahrens, wie die Unschuldvermutung an die*den Angeklagte*n, sind hier meist nicht relevant.
Rote Hilfe Leipzig, Juni 2017