Hiermit wollen wir nochmal auf die vergangene Hausdurchsuchung vom 4.3.20 im Zusammenhang zur Linksunten-Demo aufmerksam machen.
Darüber hinaus haben wir uns entschieden, eine Zusammenfassung zur Linksunten-Demo vom 25.01 aus unserer Sicht zu verfassen:
Am 25. Januar fand in Leipzig Tag (((i))) statt. Die Leipziger linksunten.soligruppe.org hat über einen langen Zeitraum versucht, Solidarität zu organisieren und Aufmerksamkeit für die nahende Verhandlung der Klage gegen das Verbot von linksunten.indymedia.org vor dem Bundesverwaltungsgericht zu generieren. Die Demonstration am Samstag vor der Verhandlung muss als Mobilisierungserfolg der radikalen Linken bewertet werden, hat aber andere Spektren nicht erreicht. Das bürgerliche Milieu hat sich aus der Kampagne und der Demonstration herausgehalten; die von der Linke-Abgeordneten Nagel angemeldete Kundgebung am Tag des Prozesses wurde nur von wenigen Dutzend Menschen besucht. Auch die Freund*innen der Technik haben sich der Kampagne nicht wahrnehmbar angeschlossen, obwohl das Thema beispielsweise beim CCC 2018 viel Aufmerksamkeit bekommen hat. So wurde Tag (((i))) schon bald fast ausschließlich militant beworben und blieb eine rein szene-interne Veranstaltung.
Trotzdem fand Tag (((i))) den Weg in die Medien, auch in die bürgerlichen. Nach einem Jahr mit vielen Auseinandersetzungen und aufgeheizter Stimmung – neuerdings ist Leipzig ja bekanntlich Hochburg der neuen RAF – wurden auf de.indymedia.org erscheinende Aufrufe wie sonst auch genutzt, um Panik zu schüren und Gimmicks für die Polizei anzufordern: großangelegter Kontrollbereich, Pferdestaffel, Räumpanzer, Wasserwerfer. Tatsächlich war das Polizeiaufgebot an dem Tag nicht außergewöhnlich und vieles ein Bluff. Kein Bluff war jedoch die angekündigte Deeskalationsstrategie, für die die sächsische Polizei nun wahrlich nicht bekannt ist und die eine offensichtliche Reaktion auf den imageschädlichen Diskurs nach Silvester war. (Kurze Erinnerung: nach einer Eskalation am Connewitzer Kreuz wurden zwei PR-Bullen mit anderen Aufgaben betreut, und die Leipziger Polizei musste sich landesweit mit dem Vorwurf von exzessiver Gewalt und Lügen auseinandersetzen.) Die bürgerlichen Medien haben die „Zurückhaltung” der Bullen besonders hervorgehoben, um ein Bild völlig „unangemessener” Eskalation seitens der Demonstration zu zeichnen. Zur einzig richtigen Weise, diesem Quatsch zu begegnen, vergleiche das Zitat:
((„Wenige Tage vor der Linksuntendemo wurde die Antifaschistin Maria in ihrer Wohnung von Berliner Bullen exekutiert. An Silvester haben die Leipziger Bullen massenweise Leute krankenhausreif geschlagen. In den letzten Monaten häuften sich die Berichte von gewalttätigen Übergriffen in Connewitz seitens der Bullen, von rassistischen Kontrollen, Schikanen, Beleidigungen und Entführungen. In den Zeitungen reiht sich ein Naziskandal bei der sächsischen Polizei an den anderen. All die Bullenmorde der letzten Jahre, all die „Suizide“ in deutschen Gefängnissen, all die Abschiebungen in Kriegsgebiete, die die deutsche Polizei durchführt, all die Misshandlungen und Übergriffe, all die Erniedrigungen und Beleidigungen, die jede und jeder von uns schon erlebt hat, die Leichensäcke und der Ätzkalk, die Todeslisten und dazu die neuen Polizeigesetze – wie kann man all dies so schnell vergessen? Wie kann man angesichts dieser gesellschaftlichen Zustände ernsthaft behaupten, es sei verwerflich eine immer offener faschistisch auftretende Staatsgewalt anzugreifen?” aus https://de.indymedia.org/node/65409))
Dabei wurde wie so oft nur die Anzahl verletzter Polizist*innen für eine wichtige Information gehalten. Weniger bis keine Aufmerksamkeit erfuhren die blutigen Nasen einiger Demonstrierenden, der gepfefferte Ordner, die an der Versorgung gehinderten Sanis, sowie die Kontrolle des Lautis nach der Endkundgebung. Letztere führte zur Konfiszierung zweier Transparente aufgrund des Vorwurfs der Verwendung von Symbolen des verbotenen Vereins und entsprechenden Anzeigen für alle im Fahrzeug Befindlichen. Damit wurde erneut – wie im Fall der beschuldigten Journalisten und des verurteilten Facebook-Nutzers – noch vor dem Prozess das faktische Verbot vollzogen. 6 Menschen verbrachten die Nacht in der Gesa, gegen sie wird wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Sachbeschädigung ermittelt. Am 4.3. gab es in Leipzig-Plagwitz eine Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit der Demo.
Mit Abstand am meisten Beachtung hat der eskalative Charakter der Tag (((i)))-Demonstration erhalten. Noch während der Kundgebung eilten viele Menschen, die ihr von vornherein ferngeblieben waren, von ihren Emotionen getrieben an ihre Rechner und in die sozialen Medien, um ihrer Empörung in 280 Zeichen Ausdruck zu verleihen. Die geschickte Propaganda der nächsten Tage verunsicherte Menschen bis weit in die linksradikale Szene hinein. In Distanzierungswut vergaßen sie alle Argumente, die der zitierte, ausgezeichnete Artikel auf indymedia (https://de.indymedia.org/node/65409) zusammengefasst hat; auf einige davon wollen wir an dieser Stelle explizit noch einmal eingehen.
Der gesamten Demo wurde Scheinheiligkeit attestiert und die Legitimität abgesprochen, weil einige Menschen sich verbal und körperlich gegen das Gefilmtwerden gewehrt haben. Es sei doch eine Demonstration für die Pressefreiheit, schrien alle. Das ist richtig, aber auch falsch. Inhalt der Demo war nicht die Verteidigung der bürgerlichen, system-affirmierenden und stets auch auf Klicks bedachten Medien. Wir haben gegen die Abschaltung des vielleicht wichtigsten Mediums der linken Bewegung in Deutschland protestiert. Dass wir dabei, stärker als die bürgerlichen Medien selbst, sehen, dass ein solches Verbot einen erschreckenden Präzedenzfall schafft, heißt nicht, dass wir auf die Straße gehen dafür, dass die bürgerlichen Medien ihre Sensationsreportagen gespickt mit Portrait-Aufnahmen veröffentlichen können. „Pressefreiheit“ bedeutet nämlich nicht, dass alle alles aufnehmen dürfen. Wie die Schafe wiederholten die Zeitungen den Vorwurf, wir würden die Pressefreiheit behindern. Die Pressefreiheit ist ein Grundgesetz, das die Medien vor staatlichem Zugriff und insbesondere vor Zensur schützen soll. Wir können sie nicht angegriffen haben. Es war auch keine Demo „für die Pressefreiheit“, sondern für linksunten und für uns. Der Ausdruck der Demo, vermummt, geschlossen, mit Transparenten und Regenschirmen, und das Ausbleiben von Einladungen wird der anwesenden Presse wohl kaum suggeriert haben, sie seien herzlich eingeladen, daran zu partizipieren. Dabei liegt ein Teil des Problems durchaus bei uns. Wir schaffen nämlich nicht genügend Gelegenheiten, die Medien mit unseren Standards zu konfrontieren. Unter anderem der Wunsch der Szene, wahrgenommen zu werden, sorgt dafür, dass die Toleranz gegenüber Kameras und Handys, auch innerhalb unserer Demonstrationen, weiter steigt. Situationen, in denen sich Teilnehmer*innen der Demonstration mit Journalist*innen anlegen müssen, sind dauerhaft nur dadurch zu verhindern, dass diese verstehen oder wenigstens akzeptieren, dass Demonstrierende sie aus Selbstschutz daran hindern werden, sie in kriminalisierungsfähigen Situationen zu filmen. Wir wissen nicht immer, für wen sie filmen, aber wir wissen, dass viele von ihnen im Zweifel Material an die Repressionsbehörden weitergeben. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit einiger Medien nach den G20-Protesten in Hamburg. Ohne Not wurden unzählige Bilder und Videoaufnahmen den Behörden überreicht, um diese bei der Verfolgung von Linken zu unterstützen. Wir sind uns auch bewusst, dass Nazis Interesse haben an diesen Bildern; Russia Today hat sich sogar in die Demo geschmuggelt, um dort zu filmen. Es wird vermutet, dass die Drohne über der Demo ebenfalls zur Presse gehörte.
Von alldem ist in den Distanzierungen nichts zu lesen. Dort wird es so dargestellt, als sei die Gewalt aus einer solchen Demonstration heraus, egal ob auf grenzüberschreitende Journalist*innen oder die an diesem Abend eher zurückhaltenden Bullen, bloße Triebabfuhr. Damit tappen die Distanzierer*innen mit den dümmsten Argumenten in die für sie gestellte Falle, zu unterscheiden zwischen guten und bösen Linken. Aus unserer Sicht muss es darum gehen, geschlossen gegen Distanzierer*innen und Angriffe der Cops zusammenzustehen und unsere Themen stärker in den Fokus zu rücken, statt auf diese Spaltungsaufforderungen einzugehen.
Insgesamt ist es natürlich erfreulich, dass es eine wahrnehmbare Solidaritätskundgebung für linkunten doch noch gegeben hat. Dafür ist der Soligruppe, die so lange so viele Kapazitäten dafür gefunden hat, herzlich zu danken. Aus Antirepressionssicht ist an der Demonstration dennoch einiges zu bemängeln: Die Teilnehmer*innen sollten geschlossen bleiben, wenn nötig Ketten bilden, in gewissen Situationen darauf achten, dass sie nicht erkannt werden können und keine Kleidung mit Wiedererkennungswert tragen. Mit Pyro innerhalb der Demo ist sorgsam umzugehen. Ruhig und besonnen zu handeln ist wichtig. Darüber hinaus war es aber mit 2000 Leuten eine für Leipzig erstaunlich kraftvolle Demonstration, mit durchgängiger Vermummung und stabiler Blockbildung, wenigstens bis zur Eskalation auf der Kreuzung.
Zuletzt sei daran erinnert, dass die Sache sich mit Tag (((i))) nicht erledigt hat. Nach dem Geschrei ob der Eskalation ist es schon wieder komplett leise geworden um linksunten, dabei ziehen die Beschuldigten nun vor die nächste Instanz, nämlich vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Darüber hinaus wissen wir, dass es noch weitere Strukturen treffen wird. Dabei sind wir immer noch schlecht vorbereitet auf ein mögliches Verbot von de.indymedia.org, auch weil wir noch immer keinen Ersatz geschaffen haben. Antirepressionsarbeit und die Organisation von Solidarität bleiben so wichtig wie eh. Mindestens.
RH OG Leipzig, März 2020