Prozessbericht: Schlägerei am Alfred Kunze Sportpark 14.11.15

Eine kleine Abreibung

Als Rote Hilfe Ortsgruppe begleiten wir regelmäßig Gerichtsverfahren politischer Natur. Kürzlich begleiteten wir ein Verfahren gegen drei Fans des Leipziger Fußballvereins BSG Chemie Leipzig, der für seine linkspolitische Fanszene bekannt ist.

Am 14. November 2015 fand ein Heimspiel der BSG Chemie im Alfred Kunze Sportpark in Leipzig gegen den Chemnitzer Kleinstverein Rapid Chemnitz statt. Eigentlich kein spannender Termin, fuhr jedoch vor Spielbeginn ein Bus mit Fans von Rapid Chemnitz vor. Die aussteigenden Fans provozierten dann mit „Juden Chemie“ Rufen und dem Zeigen eines Hitlergrußes. Daraufhin sollen es sich einige mutmaßliche Chemiefans nicht nehmen lassen haben und lösten den Faschos noch vor dem Stadion eine kollektive Fahrt ins Krankenhaus. So weit, so durchsetzungsstark.

Weiterhin beklagte ein Fotograf aus Chemnitz, der das Geschehen festhalten wollte, Chemiefans hätten wohl (erfolglos) versucht ihm die Kamera zu rauben um seine Dokumentation zu verhindern.

Das Spiel gegen Rapid wurde daraufhin abgesagt.

Die Ermittlungen, Presse und Faschos

Es kursierten nach dem Vorfall mehrere Videos und Fotos, welche die Bullen auswerteten und  Fotomappen erstellten. In späteren Heimspielen standen Bullen vor dem Stadion und machten mit den Mappen in der Hand Gesichtskontrollen, scheinbar jedoch nicht sehr erfolgreich.

Am Ende landeten willkürlich 3 Chemiefans vor Gericht, die sich nun für das Geschehene verantworten sollten. Einer der Angeklagten wurde einfach eine Woche vor Verfahrensbeginn mit in die Anklageschrift genommen, aus bisher nicht vollständig geklärten Gründen.

Kurz nachdem der Prozess startete, schossen sich BILD, LVZ und örtliche Neonazis auf die Angeklagten ein. Besonders die Privatsphäre eines Angeklagten wurde durch die Presse massiv verletzt, indem er namentlich in deren Klatschblättern genannt und vorverurteilt wurde.

Welche Rolle die zeitgleich laufenden §129 Ermittlungen gegen Antifaschist*innen und Chemiefans in den Ermittlungen spielte, lässt sich an dieser Stelle nur mutmaßen.

Der Prozess

Der Prozess lief im Mai 2018 an, mit mehreren festgesetzten Verhandlungstagen und einer umfassenden Zeug*innenliste.

Die Aussagen der verprügelten Faschisten weckten durchgängig das Gefühl, diese hätten sich zur Aktion abgesprochen und nachdem sie mit ihrer Provokation scheiterten nahmen sie kollektiv die Opferrolle an. Eine rechte Gesinnung wurde von allen Aussagenden mehr oder weniger erfolgreich geleugnet (weniger erfolgreich waren der Hitlergruß-Zeiger und ein Träger eines Reichskriegsflaggen-Tattoos). Hier wurden auch Überschneidungen ins Umfeld des Chemnitzer FC, bekannt für seine rechte Fanszene, offenbar. Die Richterin empfahl in Richtung der Angeklagten und der BSG Chemie, man solle sich nicht von sowas provozieren lassen, dies wäre eigentlich die wirkliche Schande.

Zum Anhang gehörten ältere Fans und der erwähnte Fotograf. Sie konnten dramatisch schildern was passierte, jedoch keinerlei Angaben zu den Täter*innen machen. Mit Ausnahme des Vaters eines der verprügelten Faschisten, der einen Angeklagten belastete.

Die Szenekundigen Beamten hatten nicht viel zu berichten, auch die dazugerufenen Polizeizeugen glänzten durch Ahnungslosigkeit. Eine erfreuliche Abwechslung zu anderen Prozessen.

Der letzte Verhandlungstag barg noch eine Überraschung. Der bisherige Staatsanwalt wechselte und dem Angeklagten gegenüber saß der bekannte Leipziger Staatsschutz-Staatsanwalt Merkel.

Die Urteile

Verurteilt wurden zwei Angeklagte zu 1) 6 Monaten Freiheitsstrafe nach Jugendstrafrecht umgewandelt zu 2 Jahren auf Bewährung + 100 Sozialstunden und zu 2) 6 Monaten Freiheitsstrafe umgewandelt zu 2 Jahren auf Bewährung + 100 Sozialstunden, ein weiterer Angeklagte wurde freigesprochen. Das Urteil stützt sich fast ausschließlich auf die Aussage des Vaters eines verprügelten Faschos, dessen Familie mit rechten Akteuren in Chemnitz verbandelt ist.

Von der Richterin lernten wir in ihrem Urteil unter anderem, dass, obwohl ein kognitiver Vorteil gegenüber den ideologischen Gegnern vollkommen ersichtlich sei, man sich nicht über diese stellen sollte, man sei nämlich keinesfalls besser als diese. Interessant. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt, erneut verhandelt wird dann vor dem Landgericht.

Auch der eingeschaltete Staatsschutzanwalt Merkel, die wabernden 129a Ermittlungen gegen Linke &  Fußballfans in Leipzig, sowie die willkürliche Anklageerhebung lassen hier den schalen Geschmack eines rein politisch motivierten Verfahrens, mit dem Ziel ein Exempel gegen Fußballfans zu statuieren, zurück.

Dennoch zeigte sich uns recht deutlich: Rechte und Neonazis haben bei der BSG Chemie keine entspannte Auswärtsfahrt. Und das ist auch gut so.

United we stand!

September 2018, Rote Hilfe Ortsgruppe Leipzig

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