Am 26. Juli 2017 fand am Amtsgericht Dresden eine Verhandlung gegen einen Leipziger Genossen, vertreten durch seine Anwältin, statt. Der Genosse wurde nach knapp einer Stunde Verhandlung mangels vollständiger Erfüllung des Tatbestandes freigesprochen.
Der Vorwurf des Staatsanwalts Riedemann lautete auf Verstoß gegen das Sächsische Versammlungsgesetz, durch das Mitführen von Waffen oder sonstigen Gegenständen bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen, die ihrer Art nach geeignet und bestimmt sind, Personen zu verletzen oder Sachen zu beschädigen.
Konkret wurden bei dem Genossen auf dem Weg zu einer Gegenveranstaltung zum Tag der deutschen Einheit am 03.10.2016 in Dresden bei einer „gefahrenabwehrrechtlichen“ Beschlagnahmung zwei kurze Fahnen mit pinken Stoffen und Aktionskarten gefunden.
Der Genosse verweigerte konsequent die Aussage und verlas stattdessen eine selbst verfasste politische Erklärung:
„Mir wird vorgeworfen am 3. Oktober pinkfarbene Fahnen mit der Bestimmung, diese als Waffe einsetzen zu wollen, mitgeführt zu haben. Diese Unterstellung ist falsch: Tatsächlich waren die Fahnen als Demonstrationsmittel im Rahmen unseres friedlichen Protests bestimmt – bis sie in einer unverhältnismäßigen Polizeikontrolle schon morgens beschlagnahmt wurden. Dabei wurde auch unsere Teilnahme an den Versammlungen durch einen Platzverweis über das gesamte Veranstaltungsgelände stark eingeschränkt.
Der rechtliche Rahmen für das Mitführen von Gegenständen auf Versammlungen ist durch Auflagen klar abgesteckt. Dadurch, dass den Auflagen entsprechende Gegenstände, die offensichtlich als Demonstrationsmittel bestimmt sind und nicht anderweitig eingesetzt wurden, durch falsche Unterstellungen kriminalisiert werden, geht diese Rechtssicherheit verloren.
Diese Kriminalisierung untergräbt das Grundrecht, friedlichen Protest sichtbar auf die Straße zu tragen, denn Fahnen ermöglichen uns, auf Versammlungen unsere Meinung erkennbar zu machen: Die rote Fahne ist ein seit vielen Jahrzehnten bekanntes Symbol für den Protest gegen Kapitalverhältnisse – mit der pinkfarbenen Fahne wollen wir unseren Protest gegen Homophobie und andere Heterosexismen kenntlich machen.
Unser Protest richtet sich dabei auch gegen neue rechte Bewegungen die unter anderem geprägt sind von Sexismus und Heterosexismus.
Es ist unser demokratisches Recht die pinke Fahne zu tragen und uns so mit allen zu solidarisieren die von diesen Diskriminierungen betroffen sind.
Für mich zeigt sich deutlich, dass es bei der Kriminalisierung unserer Teilnahme an den Versammlungen nicht darum ging, ein tatsächliches Gewaltpotential abzuwenden, sondern darum, legitimen, friedlichen Protest von vornherein zu verhindern.“
Der vorgeladene Zeuge der StA Polizeimeister S. Machleit, der am betreffenden Tag zur Absicherung des Versammlungsgeschehens eingesetzt war, schilderte danach den Ablauf der stichprobenartigen Kontrollen an diesem seiner Meinung nach lauen Oktobermorgen. Dabei empfanden er und seine Kollegen vor allem Personen mit Schlauchschals als besonders auffällig und führten infolge eines angeblich derartigen Fundes bei dem Genossen eine Taschenkontrolle und ED-Behandlung durch, bei welcher sich dieser laut Machleit besonders unkooperativ und passiv-aggressiv unfreundlich verhielt. Die gefundenen Fahnen empfand der Polizeimeister als besonders brisant und kriminalisierungswürdig, da er auch selbst schon hätte erleben müssen, wie diese in anderen Situationen zur Koordination der Versammlung und Markierung von Schwachstellen der Einsatzkräfte verwendet wurden. Auf Nachfrage wandte er weiterhin ein, schon mit ähnlichen Fahnen beworfen worden zu sein, auch als Schlagwerkzeug seien sie verwendbar. Die gefundenen Aktionskarten dienten ihm dabei als Legitimierung seiner abenteuerlichen Theorie. Auf die Nachfrage, ob er denn wüsste, ob diese in den Demonstrationsauflagen des Tages verboten gewesen wären, konnte er keine Antwort geben.
Nach kurzer Beratungspause des Richters Meißner mit Staatsanwaltschaft und Rechtsanwältin verwies StA Riedemann in seinem Plädoyer auf die Beschränkbarkeit des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG durch Art. 8 II GG hier in Verbindung mit dem Sächsischen Versammlungsgesetz. Selbst musste er jedoch feststellen, dass die zwei Fahnen im Rucksack des Genossen wohl „geeignet“ gewesen wären, um Personen zu verletzen oder Sachen zu beschädigen, jedoch nicht nachgewiesen werden kann, dass diese auch dazu „bestimmt“ waren. Die selbstgerechte Bezeichnung dieser als „Knüppel“ konnte er sich dennoch nicht verkneifen. Die Tatbestandsvoraussetzungen sah er somit selbst als nicht erfüllt an und beantrage den Freispruch des Genossen.
Abschließend musste Richter Meißner feststellen, dass der Genosse absolut deutlich in seinem Plädoyer darstellte, welchen Zweck kurze Fahnen in seinem Demonstrationsbestreben erfüllen.
Zudem erklärte er klar die kurzen Fahnen für ein zulässiges Demonstrations- und Koordinierungsmittel, welches Demonstrationsteilnehmende einsetzen könnten, auch ohne Versammlungsleiter*in sein zu müssen.
Aufgrund des für die Repressionsorgane unerwarteten Andrangs an interessierten Zuschauer*innen musste zu Beginn in einen größeren Saal gewechselt werden. Schätzungsweise zwischen 20 – 25 Personen wohnten der Verhandlung dauerhaft inne. Davon waren ca. drei Personen in der Funktion als Pressevertreter*innen (SZ und BILD) anwesend, sowie vermutlich zwei mitschreibende Polizeibeamte in Zivil und zwei in Dresden und darüber hinaus bekannte Neonazis. Die auf Antrag nonverbale Überprüfung der aktuellen Anschrift des Genossen durch den Richter enttäuschte Sebastian Reiche (Link 1 – Link 2) und Ronny Thomas (Link) sichtlich.
Der politische Umgang mit dem Vorfall ist beispielhaft und wir freuen uns mit dem Genossen über den glücklichen Ausgang des Prozesses. Es bleibt nach diesem Urteil zu hoffen, dass in Dresden keine Schikanen wegen Kurzfahnen mehr folgen – juristisch sind sie zumindest nach aktueller Rechtslage nicht haltbar.
United we stand!
Rote Hilfe OG Leipzig, Juli 2017