In Sachsen laufen laut jüngsten Aussagen des Innenministeriums Ermittlungen gegen drei Personenzusammenhänge, die im Verdacht stehen, „kriminelle Vereinigungen“ nach § 129 Strafgesetzbuch zu bilden. Neben zwei Zusammenhängen in Dresden, ist auch eine „Gruppierung“ in Leipzig im Visier. Dieser werden 12 Personen zugeordnet.
Das Strafgesetzbuch definiert eine „kriminelle Vereinigung“ nach § 129 als „Personenzusammenschluss von gewisser Dauer, dessen Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen.“ Zielrichtung der kriminellen Handlungen muss die „Störung der öffentlichen Ordnung“ sein, wobei es sich um ein rechtlich unbestimmtes Konstrukt handelt.
Die Paragraphen 129, 129a und b des Strafgesetzbuches wurden dazu geschaffen politische Strukturen zu durchleuchten. Auch zahlreiche Jurist*innen und Bürgerrechtler*innen kritisieren den Paragraphen völlig zurecht. Um nach § 129 belangt zu werden muss gar keine Straftat begangen worden sein. Mittels des – willkürlichen – Anfangsverdacht werden die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren stark ausgeweitet: Ob Telekommunikationsüberwachung und Postkontrolle, Observation, verdeckte ErmittlerInnen, akustische und optische Wohnraumüberwaschung oder Rasterfahndung: die Palette ist breit. Im Rahmen der Ermittlungen kann es auch zu Hausdurchsuchungen, ED-Behandlungen und DNA-Abnahmen kommen.
Auch die vermeintliche Unterstützung und Werbung für ein kriminelle (§ 129) oder terroristische Vereinigung (§ 129a) wird unter Strafe gestellt, mit einer Gesetzesänderung durch die rot-grüne Bundesregierung und durch Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wurden die Hürden dafür allerdings erhöht.
Die Definition dessen was kriminell und terroristisch sein soll, ist schwammig und von der politischen Agenda der jeweiligen Landes- oder Bundesregierung abhängig. Kein Wunder also, dass die politische Linke mit Abstand am häufigsten mit Ermittlungsverfahren nach den 129er § überzogen wurde. Zwischen 1990 und 1996 gab es 1116 Verfahren gegen links, und 23 gegen rechte Gruppen. In den letzten Jahren sanken die Zahlen der Ermittlungen gegen links erheblich. Dafür wuchs die Zahl von Verfahren nach § 129 b (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland).
Mit insgesamt zwei laufenden und einem ruhenden Ermittlungsverfahren nach § 129 gegen links dürfte Sachsen also weit vorn liegen.
Die Geschichte des Paragraphen 129 reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück und reiht sich in die deutsche Tradition der autoritären Bekämpfung basisdemokratischer, progressiver Kräfte ein. Seine Vorläufer richteten sich zum Beispiel 1848 gegen die republikanisch-revolutionären Bestrebungen gegen reaktionäre Herrschaftsstrukturen. Im Deutschen Reich richtete sich der § 129 bereits gegen „staatsfeindliche Bestrebungen“ und damit gegen sozialistische und sozialdemokratische Bewegungen. Diese Linie zog sich weiter in die Weimarer Republik, in der der Paragraf exzessiv gegen sozialistische und kommunistische Aktivitäten und Organisationen angewendet wurde. Die Kriminalisierung von linken Bewegungen verschiedenster Couleur erreichte mit der Transformation der Weimarer Republik in den Nationalsozialismus ihren Höhepunkt. Der 129er Paragraph lebte fort und diente der Verfolgung jeglicher Andersdenkender.
Im postfaschistischen Deutschland, das sich der Ursprünge des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 bediente, wurde der § 129 schnell zum wichtigen Instrument im Kampf gegen links. Er spielte bei der Verfolgung von KommunistInnen und dem Verbot der KPD eine zentrale Rolle. In diesem Zusammenhang kam es in den 1950er und 60er Jahren zu 100.000 Ermittlungsverfahren und 10.000 Verurteilungen wegen der Beteiligung an kriminellen Vereinigungen. Zeitgleich wurde der § 129 sogar verschärft und neben der Mitgliedschaft auch die Unterstützung und das Werben für eine „kriminelle politische Vereinigung“ unter Strafe gestellt.
Eigens zur Verfolgung der Roten Armee Fraktion wurde 1976 der § 129a – Bildung einer terroristischen Vereinigung – geschaffen. 2003 folgte die Variante b. Diese wiederum ermöglicht es dem Staat Menschen zu kriminalisieren, die Mitglied einer im Ausland tätigen „kriminellen oder terroristischen“ Vereinigung sind, für diese werben oder sie unterstützen. Diese Regelung ist besonders willkürlich, unterliegt sie doch ganz besonders außenpolitischen Interessen Deutschlands.
Die Paragraphen 129 ff waren und sind Gesinnungs-und Ermittlungsparagraphen gegen die politische Linke. Zumeist löst sich der Tatvorwurf im Zuge der Ermittlungen in Luft auf. Nur etwa fünf Prozent aller Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung werden bis zur Anklage fortgeführt, bei etwa einem Prozent kommt es zu einer Verurteilung. Doch darum geht es den Behörden auch nicht. Ziel ist das Offenlegen von Strukturen und das Zermürben von Einzelnen.
Die Rote Hilfe empfiehlt:
- Auf Hausdurchsuchungen vorbereiten! Räumt eure Wohnungen auf bzw. aus! Vermeidet Zufallsfunde wie waffenähnliche Gegenstände oder kriminalisierte Substanzen
- Stehen die Cops vor der Tür: lass dir den Durchsuchungsbefehl zeigen, rufe den/die Rechtsanwalt/wältin deines Vertrauens an und versuche eine/n Zeug/in dazuzuholenAlles weitere zur Hausdurchsuchung kann hier nachgelesen werden:
http://antirepression.noblogs.org/polizeikontakt/hausdurchsuchungen/ - Eine Checkliste für die Wohnungswand findet ihr hier:
http://antirepression.noblogs.org/files/2013/01/Hausdurchsuchung.pdf - Kein Austausch über politische Fragen per Telefon, Mail, Facebook!
Lass dein Telefon bei Plena zu Hause, nutze für E-Mail/Chat gängige Verschlüsselungstechnik und lasse keine sensiblen Daten unverschlüsselt auf Festplatten rumliegen. Meidet Facebook! - Seid wachsam: sowohl erkennungsdienstliche Maßnahmen und DNA-Entnahmen gehören zum Standard-Repertoire der Repressionsbehörden!
Aktuelle Hintergründe zum §129-Verfahren gibt’s auf leipzig.antifa.de