Die Gewahrsamnahme oder polizeilicher Gewahrsam ist eine Freiheitsentziehung, aber weder eine Festnahme noch Haft (Anordnung z.B. von Untersuchungs- oder Strafhaft durch eine:n Richter:in).
Der Gewahrsam ist aus unterschiedlichen Gründen und in verschiedener Art und Weise möglich, also auf dem Revier, im Polizeitransporter, in der Gesa oder im Kessel.
Die meisten Gewahrsamnahmen betreffen Menschen, die von den Cops einer Straftat verdächtigt und deshalb erstmal für Identitätsfeststellung und andere Maßnahmen von ihnen mitgenommen werden.
Andere gesetzliche Grundlagen für die Gewahrsamnahme in Sachsen sind in § 22 des sächsischen Polizei(vollzugsdienst)gesetz (PVDG) aufgezählt – u.a kann die Polizei mit unterschiedlichen Auslegungsmethoden, eine polizeirechtliche Gefahrensituation herbei definieren.
Auf dieser Grundlage ist eine Gewahrsamnahme möglich, wenn diese Maßnahme der Polizei unerlässlich erscheint, um hierdurch eine „bevorstehende Begehung oder Fortsetzung von Straftaten“ zu verhindern (Präventiv- oder Unterbindungsgewahrsam). Das heißt, es muss (noch) kein Tatverdacht gegen euch bestehen.
Der bloße Verstoß gegen das Versammlungsgesetz beispielsweise kann dazu führen, dass Leute in polizeilichen Unterbindungsgewahrsam genommen werden. Außerdem können Gewahrsamnahmen angewendet werden, wenn anders eine zulässige Identitätsfeststellung nicht erfolgen kann (z.B: Ausweis nicht dabei), oder um einen Platzverweis, Aufenthaltsanordnungen, Kontaktverbote oder Wohnungsverweisungen durchzusetzen.
ABER: Solltet ihr geplant haben, eure Identität nicht preiszugeben sind weitere Aspekte zu berücksichtigen, eine gute Vorbereitung auf diesen Fall ist unerlässlich.
Werdet ihr in Gewahrsam genommen, macht auf euch aufmerksam und ruft Umstehenden euren Namen und euer Geburtsdatum zu. Außerdem solltet ihr versuchen, Ruhe zu bewahren. Ihr müsst den Grund der Gewahrsamnahme und zum Beispiel einen Tatvorwurf genannt bekommen und über eure Rechte belehrt werden.
Die Cops nehmen dich ggf. mit auf das jeweilige Revier. Dort wirst du zuerst durchsucht. Hierbei solltest du eine geschlechtersensible Auswahl des Durchsuchungscops einfordern. Relevante Dinge (gern auch Handys!) werden beschlagnahmt. Wahrscheinlich versucht die Polizei dich auch erkennungsdienstlich zu behandeln und unter Umständen deine DNA zu entnehmen.
Lege gegen alles Widerspruch ein, unterschreib aber nichts. Die Cops müssen deinen mündlichen Widerspruch protokollieren. Manche von den beschlagnahmten Dingen wirst du erst bei deiner Entlassung wiederbekommen. Die Cops versuchen spätestens hier als „Gegenleistung“ noch mal deine Unterschrift zu erpressen – verweigern !
Unter Umständen kommt es zu einem Verhör. Die Cops versuchen dich dann zu Aussagen zu bewegen. Du muss den Cops nur das mitteilen, was auf dem Ausweis steht: Name – Meldeadresse – Geburtsdatum – Geburtsort – und Staatsangehörigkeit (Familienstand + Beruf (allgemein, z.B. Schüler:in, Student:in)). Beantworte keine weiteren Fragen und mach keine Angaben zu den vorgeworfenen Taten. Es kommt vor, dass die Cops dir Versprechungen machen, etwa dass Du schneller rauskommst, wenn du etwas sagst. Auch das Gegenteil kommt vor, dass sie dir drohen, dass du länger drin bleiben musst, wenn du nichts sagst. Das Ziel ist immer, irgendeine Aussage von dir zu bekommen und die wird gegen dich oder deine Genoss:innen genutzt. Lass dich also auf keinen Fall beirren. Raus kommst du früher oder später auf jeden Fall.
Du hast das Recht auf 2 Telefonate (deinen Rechtsbeistand und eine Bezugsperson). Es kommt allerdings vor, dass du diese erst wiederholt einfordern musst. Außerdem kann es passieren, dass die Cops dich nicht selber die Nummer wählen lassen. Wenn du weißt, dass der EA erreichbar ist, ruf am besten zuerst dort an.
Bei Verletzungen hast du natürlich das Recht auf medizinische Versorgung. Diese musst du eventuell erst durchsetzen. Geh auf jeden Fall nach der Entlassung noch mal zu eine:r Ärzt:in deines Vertrauens und lass dir die Verletzungen attestieren.
Wenn es länger dauert, müssen die Cops dir etwas zu essen und zu trinken geben (schlechte Karten für Veganer:innen! – trotzdem nerven!) und dich natürlich die Toilette benutzen lassen (bzw. eine zur Verfügung stellen, im Kessel). Eigentlich müssten die Cops „unverzüglich“ eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams herbeiführen.
Du hast gleichzeitig das Recht einen Freilassungsantrag zu stellen. Dazu müssen die Cops dich zu eine:r Richter:in bringen. Diese:r muss dich anhören und dich dann entweder freilassen oder die Fortdauer des Gewahrsams anordnen. ‚Anhören‘ heißt, du hast die Möglichkeit, was zu den Behauptungen der Cops zu sagen. Auch hier solltest du keine Aussage machen, sondern den EA anrufen und außerdem eine:n Anwält:in verlangen.
In der Praxis kommt es aber nur sehr selten vor, dass die Cops dich vor eine:n Ermittlungsrichter:in bringen. Denn: es braucht wiederum keine richterliche Entscheidung, wenn „die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes des Gewahrsams ergehen würde“. Die Cops müssten dich also sofort entlassen, wenn die „polizeiliche Gefahr“ vorbei ist (z.B. die Demo aufgelöst ist).
Ohne eine richterliche Anhörung kann die Dauer des Gewahrsams höchstens bis 24 Uhr des Folgetages, also maximal 48 h sein.
Nach richterlicher Entscheidung kann die Dauer maximal 3 Tage betragen, wenn der Grund des Gewahrsams die Durchsetzung von Platzverweis, Aufenthaltsanordnung, Kontaktverbot, Wohnungsverweisungen oder die Identitätsfeststellung ist. Der Gewahrsam zur Identitätsfeststellung ist für den Fall gedacht, dass z.B. aus Versehen jemand keinen Perso dabei hat und den erst jemand zu den Cops bringen muss. Bei der vorsätzlichen Identitätsverweigerung gibt es den U-Haftgrund Fluchtgefahr und die U-Haft wird in diesen Fällen auch regelmäßig durch Haftrichter:innen angeordnet. Wenn der Grund des Gewahrsams die ‚unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung‘ ist, kann die Dauer bis zu 14 Tage betragen.
Die richerliche Anhörung ist nicht zu verwechseln mit der richterlichen Vorführung. Die richterliche Anhörung erfolgt, um zu prüfen ob von dir in Zukunft eine Gefahr ausgeht, bei einer richterlichen Vorführung soll entschieden werden, ob für dich „wegen des dringenden Tatverdachts einer begangenen Straftat“ die Untersuchungshaft angeordnet wird.
In jedem Fall, ob Anhörung oder Vorführung: verlange unbedingt Telefonat mit Anwältin/EA.
Generell gilt: Rede im Gewahrsam – auch nicht mit Mitgefangenen – nicht über deine Aktionen und interveniere, wenn andere über ihre politischen Aktivitäten erzählen. Anna und Arthur halten’s Maul! Sei sensibel für Andere!
Nach der Entlassung ist es enorm wichtig, dass du dich beim EA (ab-)meldest. Schreib sobald wie möglich ein Gedächtnisprotokoll.
Muster (Antrag auf richterliche Überprüfung des Gewahrsams)
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zuletzt überarbeitet: August 2022