Seit einigen Jahren wird bei Großveranstaltungen (etwa „Ende Gelände“ 2015 und 2016, Blockade des Flughafens Halle/Leipzig 2021) durch Aktivist:innen in großer Anzahl die Angabe der Personalien verweigert. Dadurch soll der strafrechtlichen Repressionen oder zivilrechtlichen Schadensersatzklagen entgangen werden. Verweigert eine Person die Preisgabe ihrer Personalien, droht nach § 111 Ordnungswidrigkeitengesetz grundsätzlich eine Geldbuße, vorausgesetzt die Personalien können durch die Repressionsorgane später ermittelt werden.
Im Folgenden möchten wir euch keine Handlungsempfehlung geben, euch aber dafür sensibilisieren, was für Vor- und Nachteile dieses Vorgehen mit sich bringen kann:
Sofern eine Personalienfeststellung nicht möglich ist, sind die Cops nach den jeweiligen (Länder-) Polizeigesetzen befugt, eine erkennungsdienstliche (ED-) Behandlung durchzuführen und euch dafür auch in Gewahrsam zu nehmen.
Insbesondere bei Großveranstaltungen mit mehreren hunderten oder gar tausenden Aktivist:innen kann die Polizei natürlich schlicht personell überfordert sein, sämtliche in Betracht kommende Personen einzeln einer ED-Behandlung zu unterziehen, so dass mensch unerkannt wieder aus dem Kessel oder Gewahrsam entlassen werden kann. Eine Garantie hierfür gibt es, wie auch die Erfahrungen bei „Ende Gelände“ in Sachsen [1] oder der Blockade des Flughafens Leipzig/Halle [2] zeigen, jedoch nicht!
Im Gegenteil: Die Verweigerung der Personalien kann selbst bei größer angelegten Aktion einige Konsequenzen haben. Möglich sind: 1.) eine verlängerte Ingewahrsamnahme, 2.) erschwerter Zugang zu rechtlicher Unterstützung, 3.) Anfertigung von Fotografien und Fingerabdrücken, 4.) eine DNA-Abnahme zur Feststellung der Identität, und 5.) im schlechteste Fall sogar U-Haft, bis die Identität geklärt ist. Die nicht mögliche Identifizierbarkeit ist ein Grund für Untersuchungshaft (Fluchtgefahr).
Achtung: Wenn ihr unidentifiziert entlassen wurdet, besteht im Nachhinein keine Möglichkeit mehr gegen Maßnahmen der Cops wirksam rechtlich vorzugehen, so etwa einen Antrag auf richterliche Überprüfung der Zulässigkeit der Freiheitsentziehung oder einer DNA-Abnahme zu stellen.
Generell bedeutet die kollektive Personalienverweigerung einen höhren Aufwand für Antirepressionsstrukturen und Anwält:innen. Als EA müssen wir bis zum Ende eures Gewahrsams, also auch mal mehrere Tage am Stück, aktiv sein.
Besonders schwierig wird es, wenn Haftrichtervorführungen angeordnet werden, was in Sachsen häufig der Fall ist. Dann braucht jede Person jeweils eine:n eigene:n Anwält:in (wegen des Mehrfachvertretungsverbotes), was bei vielen Menschen personell schwierig abzudecken wird.
Bitte sprecht daher frühzeitig mit dem EA ab, wenn ihr Personalienverweigerung bei eurer Aktion plant.
Außerdem ist auch zu überlegen, ob eure Strategie der Personalienverweigerung auch langfristig Sinn macht. Wenn ihr mit einer Personalienverweigerung bei einer Aktion gut – also nicht identifiziert- durchkommt, heißt das nicht, dass ihr anonym bleibt.
Sobald in der Zukunft eure Identität festgestellt wird (weil ihr zufällig ein Ausweisdokument dabei habt), könnt ihr möglicherweise auch für die vergangenen Aktionen (z.B. mit dort angefertigten Fotos) identifiziert werden.
Der mögliche lange Aufenthalt in der Gesa kann eine hohe Belastung für die einzelne Person in der konkreten Situation darstellen kann. Wir raten daher, sich in jedem Fall gut auf eine Personalienverweigerung vorzubereiten und mit den (rechtlichen und psychischen) Konsequenzen auseinander zusetzen.
Egal wie ihr euch in eurer Bezugsgruppe entscheidet – ob nun für und gegen die freiwillige Personalienfeststellung – nur eine konsequente Aussageverweigerung ist der beste Schutz gegen staatliche Repression. Deswegen: Anna & Arthur halten`s Maul!
EA-Leipzig, Mai 2023
Fußnoten:
[1] Bei Braunkohlebaggerbesetzungen im August 2019 im Leipziger Land und im Februar 2021 in der Lausitz wurde gegen die Betroffenen Personen aufgrund ihrer Personalienverweigerung (Haftgrund der Fluchtgefahr) U-Haftprüfung beantragt bzw. diese auch angeordnet. Alle haben später ihre Personalien angegeben um aus der U-Haft entlassen zu werden.
[2] hier hat sich insbesondere gezeigt, dass in Leipzig/Halle eine Anzahl von 50 Personen bei weitem nicht ausreicht, um die Behörden zu überlasten