erscheint auch im gefangenen info #434
In deutscher Tradition und insbesondere für Sachsen gilt: Die Rechten werden hofiert, die Linken drangsaliert
„Linksextreme Gewalt eskaliert“ titelte der Tagesspiegel am 11. Januar 2021. Im zugehörigen Artikel wird vieles zusammengeworfen, was wohl kaum zusammengehört: Hinter alledem soll aber mal wieder die autonome Szene aus Leipzig-Connewitz stecken.
Als vermeintliche Anführerin militanter Antifaschist*innen wurde Lina E. am 05. November 2020 gefangen genommen. Sie sitzt bis heute in Untersuchungshaft. Von der Generalbundesanwaltschaft und der Soko LinX wird ihr vorgeworfen, Teil einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB zu sein.
Die Arbeit der Ermittlungsbehörden findet dabei breite Unterstützung durch die bürgerlichen Medien, die nicht erst seit Linas Inhaftierung gegen den Stadtteil Connewitz, antifaschistisches Arbeit und linke Ideen insgesamt hetzen. Im konkreten Fall haben die bürgerlichen Medien schon zu Linas Festnahme am 05. November 2020 zu ihrer Vorverurteilung maßgeblich beigetragen, die Berichterstattung über sie ist geprägt von der Fokussierung auf ihr Äußeres und der patriarchal-kapitalistischen Erzählung der äußerst bösartigen und zugleich doch mächtigen Frau, der es gelingt, klandestin eine Gruppe Antifas zur Realisierung der eigenen politischen Agenda zu koordinieren. Auch die Generalbundesanwaltschaft schreibt in ihrer Presseerklärung vom Folgetag der Festnahme ungewöhnlich inhaltlich und tendenziös.
Dort geht es nunmehr weniger um die eigentlich vorgeworfenen Straftaten, dessen Ermittlung aber doch originäre Aufgabe des Generalbundesanwalts Markus Schmitt wäre, als um die „von allen Mitgliedern geteilte linksextremistische Ideologie, die eine Ablehnung des bestehenden demokratischen Rechtsstaates, des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung sowie des staatlichen Gewaltmonopols beinhaltet“ und Linas „herausgehobener Stellung innerhalb der Vereinigung“. Zu einer Körperverletzung, die Lina und den anderen Antifaschist*innen vorgeworfen wird, wird dort ausgeführt, dass die Opfer „erhebliche Verletzungen“ erlitten hätte. In der Pressemitteilung der Polizei hieß es damals, „sechs Personen wurden leicht verletzt“. Woraus sich in der Zwischenzeit die Veränderung der Qualität der Verletzungen ergeben hat, wird nicht benannt.
Die Soko LinX wurde im Dezember 2019 eingerichtet und machte sich zur Aufgabe, nun endlich effektiv gegen die Leipziger Autonomen vorzugehen. Voraussgehend waren mehrere militante Aktionen, unter anderem gegen Gentrifizierung und Knast-Profiteure, bei deren Aufklärung sich die Leipziger Polizei – bis heute – überfordert zeigt. Darunter einige brennende Baustellen, aber auch ein Hausbesuch bei der Prokuristin einer Immobilienfirma. Im September 2019 äußerte die Leipziger Polizei ihre Überforderung mit den Worten, dass sie nun „nicht mehr alle Bagger schützen“ könne. Leipzigs Bürgermeister Burkhard Jung erklärte, er fühlt sich an die Anfänge der RAF erinnert. Als Konsequenz aus diesem doch hinkenden Vergleich lobten die Behörden auch sogleich eine Rekordsumme von bis zu 100.000 € für sachdienliche Hinweise aus.
Doch auch die Soko LinX sorgt zum Glück nicht für das gewünschte Ergebnis der Aufklärung von Straftaten, sondern macht vor allem Schlagzeilen durch Misserfolge. Schon mehrfach leitete sie Ermittlungen ein und unternahm in dem Zuge Maßnahmen, die schwerwiegende Grundrechtseingriffe implizierten, obwohl sich nach einer gerichtlichen Überprüfung heraustellte, dass nicht einmal ein begründeter Tatverdacht bestand. So zum Beispiel im Fall von zwei Männern, denen vorgeworfen wurde, im August 2019 einen Brandanschlag auf den Neubau der JVA in Zwickau und drei Monate später auf eine beteiligte Baufirma in Rodewisch verübt zu haben. Innenminister Roland Wöller persönlich verkündete Anfang September 2020 stolz den vermeintlichen Ermittlungserfolg und die damit einhergehende Inhaftierung der beiden, was nach dem vorausgegangenen Wochenende vor allem wie eine beschwichtigende Geste zur Wiederherstellung der bürgerlich-konservativen Hegemonie wirkte.
Zuvor kam es nach den Räumungen der besetzten Häuser Luwi71 und B34 und der Sozialen Kampfbaustelle zu Auseinandersetzungen zwischen linken Aktivist*innen und den Cops. Die Presse berichtete von „drei Tagen Terror in Leipzig“ und Ministerpräsident Michael Kretschmer sicherte zu, „konsequent“ gegen „üble Gewalttäter“ vorgehen zu wollen. Anfang November 2020 stellte das Landgericht Dresden fest, dass die Beweislage überhaupt keinen dringenden Tatverdacht hergebe und die Haftbefehle wurden aufgehoben.
Ein weiteres Beispiel ist das Verfahren wegen dem Angriff auf Neonazis am Bahnhof in Wurzen nach dem Neonaziaufmarsch in Dresden im Februar 2020. Hier ging die Soko LinX am 10. Juni 2020 mit Hausdurchsuchungen und DNA-Entnahmen gegen fünf Beschuldigte vor, der Vorwurf lautete „erheblich schwerer Landfriedensbruch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung“. Die Auswahl der vermeintlichen Täter*innen wirkte von Beginn an willkürlich und die Zugehörigkeit zum selben Freund*innenkreis schien zu genügen. In diesem Fall stellte das Landgericht Leipzig am 23. Oktober 2020 in zwei Fällen fest, dass die vier Monate zuvor erfolgten Hausdurchsuchungen und DNA-Entnahmen rechtswidrig waren.
Auch hier lag überhaupt kein Anfangsverdacht vor – stattdessen versuchte die Soko LinX mittels der Hausdurchsuchungen, diesen überhaupt erst zu konstruieren. Zu Beginn diesen Jahres erhielt einer der vormals Beschuldigten die Mitteilung über die Einstellung seines Ermittlungsverfahrens. Wir hoffen, dass auch für die anderen vier Beschuldigten das selbe Ergebnis erwirkt werden kann. Die Soligruppe schrieb am 20. November 2020, „wir vermuten, dass die Soko LinX keine tatsächliche Spur hat undsich zur Konstruktion einer Täter*innen-Gruppe den Erkenntnissen aus vorangegangenen gescheiterten §129-Verfahren bedient“.
Die erwähnten vorangegangen §129-Verfahren verliefen für die Behörden erfolglos. Trotz andauernder und weiträumiger Ausspähungsmaßnahmen, auch gegen Dritte, konnte sich kein Verdacht erhärten und die Verfahren mussten allesamt eingestellt werden.
Seit 2009 wurde gegen große Teile der linken Szene in Sachsen unter dem Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt. Grundlage für das Verfahren waren Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen an Neonazis, bei denen jedoch keine Täter*innen ermittelt werden konnten. Hinzu kamen die Proteste gegen den jährlichen Neonaziaufmarsch in Dresden am 13. Februar. Nach einer erfolgreichen Blockade-Aktion gegen den Neonaziaufmarsch im Jahr 2011 kam es zu einer weiträumigen Telefonüberwachung der Demonstrant*innen und der Durchsuchung des
gesamten Hauses, in dem sich das Pressezentrums des Bündnis „Dresden Nazifrei“ befandt. Die Überwachungsmaßnahmen wurden schneeballartig auf allerlei Personen ausgedehnt, die entweder im Kontakt mit den schon Überwachten standen oder durch ihr vermeintliches politisches Interesse die Aufmerksamkeit der Ermittler*innen auf sich zogen. Im Rahmen dieser Ermittlungen fanden unzählig viele Maßnahmen statt. Es wurden 25 Beschuldigte und unzählige Dritte überwacht, über eine Million Verkehrs- und 57.960 Bestandsdaten erhoben und in 71 gerichtlichen Einzelbeschlüssen Telefone abgehört. Nach und nach wurden die Verfahren eingestellt, das letzte im Jahr 2014.
Zu dem Zeitpunkt lief bereits das nächste §129-Verfahren in Sachsen, am 13. November 2013 leitete die Staatsanwaltschaft Dresden es ein. Erst zur Einstellung ebendieses Verfahrens Ende 2016 wurde überhaupt bekannt, dass gegen drei Beschuldigte umfassend ermittelt wurde. Grundlage war der Vorwurf der Körperverletzung an einem Neonazi. Auch hier wurden umfassende Ausspähungsmaßnahmen gegen die Beschuldigten angeordnet und wieder weiträumig auf Drittbetroffene ausgeweitet. Im Rahmen dieser Ermittlungen wurden durch 26 richterliche Beschlüsse die Telekommunikation von neun Beschuldigten überwacht, 56.118 Verkehrsdatensätze
und 838 Bestandsdatensätze erhoben. Mindestens vier Beschuldigte wurden observiert. Nach Abschluss der Ermittlungen wurden 177 „drittbetroffene“ Personen informiert, dass Gespräche zwischen ihnen und den Beschuldigten abgehört und gespeichert wurden, darunter auch Berufsgeheimnisträger*innen wie Ärzt*innen, Journalist*innen und Rechtsanwält*innen.
Ein weiteres §129-Verfahren wurde zum 03. August 2015 schon während dem vorangegangenen Verfahren eingeleitet und zur Einstellung desselben von ebendiesem abgetrennt. Hintergrund dieses Verfahrens war – wie soll es anders sein – der Vorwurf antifaschistischer Organisierung. Das Verfahren wurde am 20. Juni 2018 eingestellt.
Bis heute liegen Beschwerden gegen die Maßnahmen unbearbeitet bei den Behörden und die Akten sind den Beschuldigten nicht vollständig herausgegeben worden. Diese knappen Ausführungen skizzieren nur unvollständig die Kriminalisierung antifaschistischer Organisierung durch die sächsischen Behörden. Was aber deutlich wird, ist die Kontinuität und Willkür. Dies alles geschieht unabhängig von Beweisen, Schuldfragen oder vermeintlich demokratisch-bürgerlichen Rechten und Ansprüchen. Kurzum, der Staat und seine Repressionsorgane legen es sich so zurecht, wie eben passt, um politisch unliebsame Aktivist*innen und Bewegungen zu bekämpfen.
Ein Blick auf die Geschichte des §129 StGB macht deutlich, dass es auch nie anders beabsichtigt war. Die Norm wurde im frühen 19. Jahrhundert eingeführt, um Vereinigungen wegen „revolutionärer Umtriebe und demagogischer Verbindungen“ zu verbieten und ihre Mitglieder zu verfolgen. Im deutschen Kaiserreich wurden August Bebel und Wilhelm Liebknecht unter dieser Norm inhaftiert, weil sie sich positiv auf die Pariser Kommune bezogen. In der Weimarer Republik standen vor allem Funktionäre der KPD im Fokus. Im Nationalsozialismus wurde die Vorschrift um das Unterstützen einer Organisation ergänzt und diente der Verfolgung von Jüd*innen, Kommunist*innen und weiteren Oppositionellen. In der BRD nach 1950 wurden die Norm gegen kommunistische Gruppen angewandt. Zu Beginn des „Deutschen Herbstes“ 1976 wurde der §129a ergänzt, um die „Bewegung 2. Juni“ und die „Rote Armee Fraktion“ zu bekämpfen. Ende 2001 wurde §129b StGB ergänzt, um angebliche Mitglieder von im Ausland agierenden Gruppen zu kriminalisieren, darunter auch viele in der BRD lebende kurdische und türkische Oppositionelle.
Nochmal zurück zum Anfang: Am 11. Januar 2021 jährte sich auch zum fünften Mal der Tag, an dem mehr als 200 Neonazis bewaffnet und koordiniert Menschen und Geschäfte im Leipziger Stadtteil Connewitz angriffen. Es war der größte Neonazi-Angriff seit den Neunzigern mit dem Ergebnis von einigen Verletzten und 113.000 € Sachschaden. Hausdurchsuchungen gegen die vor Ort festgesetzten TäterInnen gab es keine, die Gerichtsprozesse verlaufen schleppend und enden, wenn überhaupt, mit milden Urteilen. All das, was in den vergangenen fünf Jahren aufgearbeitet und aufgeklärt wurde, ist die akribische und kontinuierliche Arbeit engagierter Antifaschist*innen und solidarischer Unterstützer*innen.
In der BRD wurden seit 1990 mehr als 200 Menschen durch Neonazis ermordert und mehr als 180 Schwarze Menschen, People of Color und von Rassismus betroffene Menschen wurden im Polizeigewahrsam getötet. Zuletzt kam es in Hanau und Halle zu antisemitischen und rassistischen Morden. Der Nationalsozialistische Untergrund hat gezeigt, wie militante Neonazis von staatlichen Behörden aufgebaut und gedeckt werden. In immer kürzer werdenden Abständen werden Meldungen zu bewaffneten rechten Netzwerken in den Sicherheitsbehörden bekannt.
Das alles sind nur wenige Beispiele neben unzählig anderen, die deutlich machen, wie notwendig die Organisierung antifaschistischen Widerstands ist – auf allen Ebenen, mit allen Mitteln. Dazu gehört auch, die von Repression betroffenen Genoss*innen zu unterstützen und dem kapitalistischen Staat und seinem Schlägertrupp nicht die Deutungshoheit über die Geschehnisse zu überlassen.
Freiheit, Glück und Mut für Lina und alle anderen Antifaschist*innen.
Autonome F*Antifa in die Offensive – bis die Scheiße aufhört.
Rote Hilfe Leipzig
im Januar 2021